Schwarzer Schmetterling
Staatsanwältin kam ihm zuvor und gab ihrem Ersuchen statt. Eine halbe Stunde verging, ehe die Tür zu dem Zimmer, in dem Ziegler eingesperrt war, wieder aufging.
»Jetzt bin ich an der Reihe, Capitaine Ziegler allein zu befragen«, versetzte Servaz, als sie aus dem Zimmer kamen. »Es dauert nicht lange. Anschließend werden wir unsere Standpunkte einander gegenüberstellen.«
Cathy d’Humières wandte sich zu ihm um, und sie wollte gerade etwas sagen, als sie seinem Blick begegnete. Sie schwieg. Aber eine der beiden Wachsstatuen wurde lebendig.
»Ein Angehöriger der Gendarmerie darf nicht von einem …«
Die Staatsanwältin hob die Hand, um ihn zu unterbrechen.
»Sie hatten alle Zeit, die Sie wollten, oder? Sie haben zehn Minuten, Martin. Nicht eine mehr. Anschließend wird die Vernehmung in Anwesenheit aller fortgesetzt.«
Er stieß die Tür auf. Die Gendarmin saß allein in einem kleinen Büro, eine Lampe erhellte ihr Gesicht von der Seite. Wie das letzte Mal, als sie beide in diesem Zimmer gewesen waren, sah er zwischen den Lamellen der Jalousien Schneeflocken, die im Schein einer Straßenlaterne zur Erde fielen. Draußen war es stockfinster. Er setzte sich hin und betrachtete sie. Mit ihrem blondem Haar, ihrer dunklen Lederkombi voller Reißverschlüsse, Schnallen und Schutzpolster, die die Schultern und Knie verstärkten, sah sie aus wie eine Science-Fiction-Heldin.
»Alles in Ordnung?«
Sie nickte mit zusammengepressten Lippen.
»Ich glaube nicht, dass du schuldig bist«, sagte er auf Anhieb mit fester Stimme.
Sie sah ihn intensiver an, sagte jedoch nichts. Er wartete einige Sekunden, ehe er fortfuhr. Er wusste nicht, wo er anfangen sollte.
»Du hast Grimm und Perrault nicht umgebracht. Und doch spricht äußerlich alles gegen dich, bist du dir dessen bewusst?«
Sie nickte ein weiteres Mal.
Er zählte die Fakten an den Fingern ab: Sie hatte in Bezug auf die Kolonie und die Selbstmörder gelogen – beziehungsweise die Wahrheit verschwiegen –, sie hatte verschwiegen, dass sie wusste, wo sich Chaperon aufhielt …
»Und du warst nicht da, als Perrault umkam. Dabei warst du näher dran, du hättest vor mir eintreffen müssen.«
»Ich hatte einen Motorradunfall.«
»Du wirst zugeben, dass das ein wenig dürftig ist. Ein Unfall ohne Zeugen.«
»So war es aber.«
»Ich glaube dir nicht«, antwortete er.
Zieglers Augen öffneten sich einen Spaltbreit.
»Ich muss es jetzt wissen. Hältst du mich für die Täterin – ja oder nein?«
»Nein. Aber du lügst über den Unfall.«
Sein Scharfsinn schien sie zu erstaunen. Aber diesmal überraschte sie ihn: Sie lächelte.
»Ich hab sofort gespürt, dass du gut bist«, sagte sie.
»Gestern Nacht«, fuhr er mit dem gleichen Schwung fort, »als du nach Mitternacht in dieser Diskothek warst, hatte ich mich unter deinem Bett versteckt, als du zurückgekommen bist. Ich hab mich rausgeschlichen, als du geduscht hast. Du solltest deine Tür besser sichern als mit einem Standardschloss. Was hast du in der Disco gemacht?«
Sie sah ihn eine ganze Weile nachdenklich an.
»Eine Freundin getroffen«, antwortete sie endlich.
»Mitten in der Nacht bei laufenden Ermittlungen? In einem Fall, der kurz vor der Aufklärung steht und der deine ganze Energie in Anspruch nimmt?«
»Es war dringend.«
»Was war denn so dringend?«
»Das ist schwer zu erklären.«
»Wieso?«, sagte er. »Weil ich ein Mann bin, ein Bullenmacho, und du in eine Frau verliebt bist?«
Sie sah ihn herausfordernd an.
»Was weißt du schon von diesen Dingen?«
»Nichts, in der Tat. Aber mir droht keine Anklage wegen Doppelmord. Und ich bin nicht dein Feind, Irène. Auch nicht der erstbeste Dummkopf, kein engstirniger Schwulenhasser und Macho. Also gib dir einen Ruck.«
Sie hielt seinem Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Als ich gestern Nacht in die Wohnung kam, fand ich eine Nachricht. Ein paar Zeilen von Zuzka, meiner Freundin. Sie stammt aus der Slowakei. Sie hatte beschlossen, sich von mir zurückzuziehen. Sie warf mir vor, ich würde ganz in meiner Arbeit aufgehen, würde sie vernachlässigen, wäre nie richtig da … Solche Sachen. Ich nehme an, du kennst das, schließlich bist du geschieden – du weißt also, wovon ich rede. Es gibt viele Scheidungen und Trennungen bei Polizisten – selbst unter homosexuellen Polizisten. Ich wollte eine Erklärung. Sofort. Ich wollte nicht, dass sie sich einfach so – ohne Aussprache – aus dem Staub macht. Das erschien
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