Schwarzer Tod
bevor die Woche um ist, finden Sie mich in meinem Quartier. Ich bin jede Nacht dort. Lassen Sie sich nicht zu lange Zeit.« Er wandte sich wieder dem Formular auf seinem Schreibtisch zu. »Auf Wiedersehen.«
Rachel nickte, ohne sich umzudrehen. »Auf Wiedersehen, Sturmbannführer.«
Frau Hagan wartete hinter dem Kinoanbau der Kommandantur. Rachel ging nicht sofort auf sie zu, sondern schlug die Richtung zu den Baracken ein. Frau Hagan ging so, daß sich ihre Wege wie zufällig auf dem Appellplatz kreuzten.
»Was wollte er?«
»Mich.«
»Für Sex?«
»Ja.«
»Ich habe es dir ja gesagt. Du warst zu gesund, als du hier angekommen bist. Aber es überrascht mich trotzdem, daß es Schörner war.« Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her. »Wenigstens ist es nicht Sturm. Eine Nacht mit ihm würdest du vielleicht nicht überleben. Er ist ein Vieh, und er wirft dich seinen Leuten vor, wenn er fertig ist.«
»Gott, was soll ich tun?«
»Mußt du heute nacht zu ihm?«
»Nein. Er hat mir eine Woche Zeit gelassen.«
»Was?«
»Er sagte, ich bekäme eine Woche Zeit zum Trauern. Als wenn ein Jahr dafür ausreichte!«
Frau Hagan blieb stehen. »Ich glaube, der Sturmbannführer mag dich wirklich, Meisje. Soweit ich mich erinnern kann, hat Schörner niemals eine Frau aus diesem Lager gehabt. Und warum sonst würde er wohl eine Woche auf dich warten? Er könnte dich sofort haben, wenn er wollte. Nichts könnte ihn aufhalten.«
Rachel holte tief Luft. »Er hat gesagt, ich würde ihn an jemanden erinnern. Ich denke, vielleicht ... vielleicht ist ja noch ein Rest Anstand in ihm.«
Die Polin packte Rachel mit eisernem Griff am Handgelenk. »Denk so was nicht einmal! Wenn du bis auf einen Meter an den Zaun herangehst, erschießt er dich eigenhändig. Wenn du einem Befehl nicht gehorchst, würde er dich ohne zu Zögern an den Baum binden.«
Rachel spürte, wie sie die Selbstbeherrschung verlor. Als sie sich der Baracke näherten, schlang sie wie ein verängstigtes Kind die Arme um Frau Hagan. »Warum ich?« heulte sie. »Ich bin eine Jüdin. Ich dachte, ich wäre eine Seuche für die SS.«
Frau Hagan streichelte Rachels beinahe vollkommen kahlen Schädel. »Das sagen Goebbels und Himmler, aber Menschen sind Menschen. Ich kenne sogar einen Fall, in dem ein SS-Mann sich tatsächlich in eine Jüdin verliebt hat. Beide wurden hingerichtet.«
»Was soll ich denn tun?«
Frau Hagan löste sich sanft von Rachel und hielt sie auf Armlänge von sich. »Am Ende der Woche wirst du nachgeben«, sagte sie entschlossen. »Wir sind nicht in Amsterdam. Du hast keine Wahl.«
Doch als sie die Baracke betraten, kam Rachel zu dem Schluß, daß sie vielleicht doch eine Wahl hatte. Wenn sie Schörner schon in sieben Tagen nachgeben mußte, warum sollte sie dann nichts dabei für sich herausschlagen?
Etwas für ihre Kinder.
21
Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß sich zwischen Männern, die extreme Schwierigkeiten gemeinsam bewältigen, selbst wenn sie sich vorher abgelehnt oder sogar gehaßt haben, gewisse Bande herausbilden, die für immer halten. Armeen drillen ihre Rekruten nicht aus mangelnder Sensibilität oder aus Dummheit bis zu und oft jenseits des Punktes maximalen Durchhaltevermögens. Seit Tausenden von Jahren formt dieses System unreife junge Männer zahlloser Nationen zu Soldaten, die bereit sind, für ihre Kameraden zu sterben. Selbst wenn diese Kameradschaft sich nur auf den gemeinsamen Haß auf ihren Peiniger gründet: auf die Armee.
Natürlich muß der Prozeß, der Menschen aneinander bindet, nicht immer so extrem sein. Fremde, die an einer Bushaltestelle stehen, werden sich eine Weile geflissentlich ignorieren; aber wenn der Bus sich verspätet oder ein starker Regenguß einsetzt, werden die Einzelwesen der Menschenmenge schnell zu einer Gruppe, die sich gegen die Busgesellschaft und ihre faulen Fahrer verbündet.
Diese Art von Erfahrung war es auch, die dabei half, die Kluft zwischen Mark McConnell und Jonas Stern zu überbrücken. Obwohl McConnell die meiste Zeit allein verbrachte, Deutsch sowie Organische Chemie büffelte, und Stern eisbedeckte Masten erklomm, bis er es mit verbundenen Augen konnte, fanden die beiden Männer zusammen. Auf Nachtmärschen, auf Hindernisstrecken, beim Essen und, was am wichtigsten war, in der dunklen Hütte hinter der Burg, in den Minuten der Erschöpfung, bevor sie einschliefen. Dieses Tauwetter zwischen den beiden Männern war unvermeidlich, und Smith hätte es erkennen
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