Schwarzes Gold Roman
nach Leder. Bette Line, die faul unter der Decke lag und
ihm beim Ankleiden zusah, erhob sich schließlich, in nichts weiter als ihr
durchsichtiges rosafarbenes Babydoll gehüllt. Sie küsste ihn flüchtig auf
die Lippen und richtete den strammen Krawattenknoten ein wenig – stolz,
dachte Erling, und begegnete dem Blick seiner Ehefrau. Er genoss die Situation,
das Gefühl, dass sich die Rahmenbedingungen geändert hatten. Das Verhältnis
zwischen Erling und Bette Line war wie ein Gemälde, das restauriert wurde. Mit
dem neuen Job in der Fondsabteilung der DnC waren neue Farbschattierungen und
Tiefe dazugekommen. Sie war mit ihm gewachsen. Sie hatten sich durch eine
Glaswand gebrochen, hinein in eine frühlingshafte Landschaft, die Wachstum und
bessere Zeiten verhieß. In jeder Berührung spürte er Bette Lines
schlummernde und ein wenig schwerfällige Morgenlust. Sie lag im Rhythmus ihres
Atems, im Schleier ihres Blicks, und er wusste genau, dass er sie jetzt aufs
Bett legen und ihnen beiden die größte Befriedigung verschaffen könnte –
wie am Abend zuvor. Da hatte Bette Line mit einer Silberkelle in den Fingern
vor dem Fernseher gesessen, wo im
Abendforum
ein Jude namens Uri
Geller Gabeln und Messer verbog und alle Norweger aufforderte, Gabeln und
Löffel zu reiben, um ihnen einen telepathischen Knick zu verpassen. Da hatte
er Bette Line vorgeschlagen, sie solle doch lieber eine gewisse Stelle bei ihm
reiben, um den gegenteiligen Effekt zu erzielen und so diesen ganzen Humbug zu
entlarven. Doch an diesem Tag war keine Zeit für solche Streiche. Heute würde
Erling an der Börse beginnen.
Erling wusste mehr über die Osloer Börse als die meisten
anderen. Lange bevor er die schweren Türen das erste Mal durchschritt, hatte
er Material über dieses Bauwerk gesammelt. Das Gebäude war im frühen 19.
Jahrhundert von Architekt Gorsch entworfen worden. Fast hundert Jahre später
war der Komplex nach Zeichnungen des Architekten Carl Michaelsen erweitert und
umgebaut worden. Auch wenn das Gebäude niedrig und schmal erschien, war
sichtbar, dass Gorsch von den Renaissancebauten in Städten wie Florenz und Rom
inspiriert war. Die monumentalen Giebel, die tragenden Säulen im
Eingangsbereich und der elegante Springbrunnen, der auf dem gepflasterten
Vorplatz thronte, machten die Fassade zu etwas besonderem.
Die Eiseskälte biss ihm in die Nase, und die Sonne schien
tief und scharf vom klaren, blauen Himmel, als Erling über die Fred Olsens
Gate schritt. Über den Winter war der Springbrunnen mit der Merkur-Statue
abgestellt, doch auch an diesem Wintertag streckte Merkur seinen Arm stolz in
den hellen Himmel – es schien, als empfinge ihn die Statue mit einem Salut.
Ohne zu verweilen, durchquerte Erling die breiten Türen und ging die Treppe
hinauf, geradewegs auf die Tafel zu, auf der die Währungskurse des gestrigen
Tages angeschlagen waren. Er setzte seinen Weg durch die Doppeltüren in den
A-Saal fort. Dort drinnen hingen Porträts der Großhändler, die einst die
Initiative ergriffen und den Bau der Börse in Gang gesetzt hatten. Im
Treppenaufgang auf der Seeseite waren zwei Fresken von Gerhard Munthe zu sehen.
Der Maler hatte die beiden Säulen der norwegischen Wirtschaft ins Bild
gesetzt: Die Schifffahrt und der Warenhandel. Denn der Börsenhandel hatte mit
dem Verkauf von Schifffahrtsaktien, Agenturen und Warenpartien begonnen.
Als Erling nun den Kopf hob und aufsah, fiel sein Blick auf
den alten Windmesser, der an der Südwand des A-Saals über dem Tisch des
Ausrufers hing. Der Windmesser war ein Gegenstand, der gepflegt und bewahrt
wurde, obwohl er nicht mehr in Gebrauch war. Es war nicht irgendein Windmesser.
Im 19. Jahrhundert konnten die Makler, wenn sie Schiffsladungen mit Kräutern
oder Tee erwarteten, mit diesem Instrument versuchen zu berechnen, unter
welchen Bedingungen die Boote sich durch den Drøbaksund den Fjord
hinaufquälen würden oder ob sie in einer Flaute lagen und warteten. Das erste
ankommende Schiff erzielte die besten Preise. Der Windmesser stand symbolisch
für den Beruf, den er nun ergriff – denn die Erfolge in diesem Job wurden
durch Geschick und ein wenig Glück bestimmt, und doch basierten sie immer auf
Fakten. Die Grundprinzipien der Börse hatten Bestand, auch wenn die
Handelsgrundlage sich bis zur Unkenntlichkeit verändert hatte. Die Erfindung
der Dampfmaschine, die einst die industrielle Revolution losgetreten hatte, war
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