Schwarzes Gold Roman
der Startschuss für andere und wichtigere Börsenprodukte als der Warenhandel
gewesen, Es ging um den Besitz von Fabriken. Die Dampfmaschine bildete die
Grundlage für den Industrieaktienhandel. Und mit dem zunehmenden industriellen
Wachstum wurde eine vollkommen neue Gesellschaftsschicht geboren: die
Arbeiterklasse. Sie war eine Funktion der besitzenden Klasse – die Besitzer
steuerten die Industrie und hatten die Macht inne, eine Macht, die sich auf die
Börse gründete. Dort wurde Besitz gestiftet und gewechselt. Als Vehikel der
Industrie hatte die Börse im Laufe der Jahre Veränderungen und Neuerungen
ausgestanden und durchlaufen. Diese Neuerungen waren keine geringen: Der
Benzinmotor, das Automobil, die Elektrolyse, Wasserkraft, die Glühbirne, das
Grammophon, Plastikprodukte, Radio und Fernsehen – all das waren Erfindungen,
die gesellschaftliche Veränderungen mit sich brachten und wiederum das
geschäftige Treiben an der Börse beeinflussten. Jeder kommenden Veränderung
hatte die Börse sich angepasst. Doch im Nachhinein besehen, war kein
Einschnitt so tief gewesen wie der, den die Dampfmaschine bewirkte. Erling
wusste dennoch, dass es nur eine Frage der Zeit war. Die neue, große
Veränderung würde kommen, so sicher, wie auf Erfolge Misserfolge kamen.
Erling hatte an dem ihm zugeteilten Tisch Platz genommen, ein
typischer, hoher Maklertisch mit langen und schlanken gedrechselten Beinen. Er
begrüßte seine Nachbarn höflich mit einem gemessenen Nicken. Doch eigentlich
nahm er seinen neuen Spielplatz in Augenschein. Erling Sachs wurde von Kräften
getrieben, die ihn früher oder später an die Spitze drängten: Er hatte den
unverbrüchlichen Willen eines Kämpfers, die Scham eines Emporkömmlings und
den eisernen Glauben des Dilettanten an die eigenen Fähigkeiten, darüber
hinaus die unbegrenzten Ambitionen eines Kleinbauern. Sein großes Vorbild war
nicht etwa ein Norweger wie Georg Spenning. Erlings Vorbild war ein Mann der
Londoner Pionierzeit – Nathan Rothschild. Erling war sich bewusst, dass
Erfolg an der Börse nicht ausschließlich von analytischen Fähigkeiten,
Glück und einem dicken Portemonnaie abhing. Erfolg war gleichermaßen bedingt
durch eine besondere Eigenschaft: der Fähigkeit, den richtigen Moment zu
erkennen und dementsprechend zu handeln. Rothschild hatte das 1815 bewiesen,
als Wellington Napoleon besiegte. Er hatte seine eigenen Spione in Waterloo.
Sobald die Schlacht entschieden war, schickten die Spione ihm Brieftauben mit
der Botschaft an die Kanalküste, mit dem Ergebnis, dass Rothschild einen Tag
vor allen anderen von Napoleons Niederlage wusste. Er war der erste große
Insiderhändler der Welt. Ein Mann, der über ein Wissen verfügte, das die
anderen nicht hatten. Er ging an die Börse und begann zu verkaufen. Schnell
dachten alle, dass Rothschild verkaufte, weil er wusste, wie der Krieg
ausgegangen war. Sie nahmen an, dass Napoleon gesiegt hatte und dass der
schlaue Rothschild schnell verkaufte, um Verluste zu verhindern. Doch sie
ahnten nicht, wie schlau Rothschild wirklich war. Wie er vorausgesehen hatte,
stürzten sich alle auf dieselbe Galeere und stießen ihre Aktien ab. An der
Börse brach Panik aus. Die Kurse fielen. Es ging nur noch darum, zu retten,
was zu retten war, noch ein wenig Geld zurückzubekommen, ehe Napoleon die
Vermögen zunichte machte. Die angehäuften Reichtümer eines Jahrhunderts
wurden für minimale Beträge zum Verkauf angeboten. Als die Kurse im Keller
waren, war der Moment gekommen. Rothschild kaufte. Er erstand Millionenwerte
für nichts. Er kaufte sich die Hälfte der britischen Wirtschaft. Er erwarb
die Position des mächtigsten Mannes in Großbritannien.
Erling Sachs wusste, dass Chancen sich verhalten wie
Strukturwandel: Früher oder später kommen sie. Es galt also lediglich
zuzuschlagen, wenn sie sich auftaten. Kühl in der Hüfte eingeknickt,
betrachtete Erling seine Maklerkollegen, während er tief einatmete und
spürte, dass er endlich zu Hause war.
An diesem Abend feierten Erling und Bette Line seinen neuen
Job mit einem Essen im Grand Hotel. Bette Line hatte viel zu erzählen. Sie
hatte den ganzen Tag mit dem Architekten zugebracht und zum wer weiß
wievielten Mal das Baugrundstück in Asker inspiziert. »Erling, wir müssen an
die Zukunft denken. Ich bestehe darauf, dass wir sowohl oben als auch unten ein
Badezimmer einrichten.«
Am selben Abend im Hause Lindeman kam
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