Schwarzes Gold Roman
eigentlich rot. Er hatte es schwarz gefärbt und dann die Farbe herauswachsen
lassen. Jetzt hatte es Ähnlichkeit mit einer zweifarbigen Flagge. Seine
Oberlippe zierte ein kleines Zahnbürstenbärtchen. Kalle bediente die
Offsetmaschine, auf der Standardschreiben für eine Menge Schiffsreedereien
gedruckt wurden. Anders Aufgabe war es, die Briefe in Haufen zu sortieren und
in Umschläge zu stecken. Es war ein Scheißjob: sortieren, heften, drei Mal
falten und in den Fensterumschlag stecken, dass die Adresse sichtbar war.
Anders wäre viel lieber mit der Post herumgegangen, um herauszufinden, ob
besagte Ingrid im Haus arbeitete. Aber die Post wurde von einem blinden Mann
ausgetragen, der, wenn er sich nicht mit seinem weißen Stock durch die Gänge
tastete, in einem Raum saß und Grimassen schnitt, während er Kaffee trank und
krümeligen Fürstenkuchen in sich hineinmümmelte. Wenn Anders mit dem
Sortieren begann, hatte Kalle seinen Teil der Arbeit bereits erledigt und war
fertig. Dann setzte er sich hinter den Schreibtisch, die Holzschuhfüße auf
dem Tisch, und fing an zu erzählen. Die Worte strömten aus seinem Mund wie
aus einem Radio. Er sei auf einer Party gewesen und erst bei Sonnenaufgang
aufgewacht, als
Sunrise
von Uriah Heep aus der Anlage dröhnte. Er
habe einen Trip geschmissen und nie etwas Größeres erlebt. Er sei in London
gewesen und habe David Bowie live gehört. Das sei einfach dermaßen abgefahren
gewesen. Er fragte Anders, ob er schon einmal einen Trip geschmissen habe.
Anders schüttelte den Kopf und faltete mit gebeugtem Rücken Papier.
»Mann, ist das peinlich«, sagte Kalle. »Es ist peinlich,
noch nie ’nen Trip geschmissen zu haben.«
Anders fragte sich, was eigentlich ein Trip war.
Kalle sah auf die Uhr und sagte: »Wo bleiben denn die
Kurse?«
»Wer kommt mit welchen Kursen?«
»Gandalf, hast du Gandalf schon kennengelernt?«
Anders schüttelte den Kopf. Er hatte Gandalf noch nicht
kennengelernt.
»Doch, das ist doch der mit dem Silberzahn, der hier jeden
Nachmittag vorbeikommt. Er bringt die Aktienkurse.«
»Der heißt Gandalf?«
»Nein, ich hab keine Ahnung wie er heißt, aber er sieht
Gandalf ähnlich. Hast du das Buch gelesen?
The Lord of the
Rings?«
Anders schüttelte den Kopf.
»Ich hab’s vier Mal gelesen. Und jetzt kommt es bald auf
Norwegisch raus. Kannst es dir ja zu Weihnachten wünschen.
Lord of the
Rings
von Tolkien. Den Namen musst du dir merken.«
Kalle erzählte, dass er gemeinsam mit einem Kumpel auf der
Ekebergsletta Pilze gesammelt habe. »Hast du schon mal Psilos gegessen?«
Anders schüttelte den Kopf.
»Du wirst stark wie eine Lokomotive, letztes Mal, als ich
Psilos gegessen hab, hab ich mit einem Baum geredet! Heiß, was? Ich hab echt
ein paar Stunden lang mit einem Baum geredet.«
Anders faltete Papier und versuchte sich das Gespräch
zwischen Kalle und den Bäumen vorzustellen.
Das Einzige, was Kalle zum Schweigen bringen konnte, war,
dass die Tür aufging. Es waren gerne Frauen im schicken Bürokostüm, die
hereingestürmt kamen, um etwas auf der schnellen Xerox-Maschine zu kopieren.
Die Frauen waren dann in der Regel vollauf mit Anders beschäftigt. Sie
fragten, ob er Vebjørns Sohn sei, und wurden ganz sanft und nannten ihn
mein Kleiner.
Wenn sie sich verzogen hatten, bemerkte Kalle, solche
Frauen seien wirklich immer hochnäsig.
Kalle ärgerte sich über den blinden Postboten. Er meinte,
dass der blinde Postbote die Kloschüssel nicht traf, wenn er pinkelte. Deshalb
rieche es so eklig auf dem Klo. Jedes Mal, wenn der Blinde die Kaffeetasse hob
und Gesichter schnitt, streckte Kalle ihm die Zunge raus, kratzte sich am Kopf
und machte Affengeräusche.
Beim Essen unterhielt Anders seine Familie mit Geschichten
über Kalle. Seine Mutter fand, dass Kalles Benehmen gegenüber dem blinden
Postboten fürchterlich war.
»Aber er sieht es doch nicht«, sagte Anders und sah seinen
Vater an, wartete auf einen Hinweis, auf die Verbindung, auf etwas, das mit der
geheimnisvollen Ingrid zu tun hatte.
»Es ist ja schon merkwürdig, dass Georg so etwas durchgehen
lässt«, sagte die Mutter. »Es geht doch ohnehin so schlecht für Spenning,
und dann hat er auch noch solche Flegel auf der Gehaltsliste.
»Georg passt auf seine Leute auf«, sagte der Vater.
Die Mutter fragte: »Hast du schon Brede Gran
kennengelernt?«
»Wer ist Brede Gran?«
»Das ist der, der …« Die Eltern wechselten einen
Weitere Kostenlose Bücher