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Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Merciel
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jammervolle Vertrautheit dieser Laute ließ ihr das Blut in den Adern erstarren.
    Schon einmal hatte jemand sie durch das Leiden eines Kindes in eine Falle gelockt, draußen vor Tarnebrück. Hier gäbe es keine Rettung, wenn sie in eine solche Falle tappten. Anders als die Dornen hatte Maol keinen Grund, Gnade walten zu lassen.
    Vorsichtig schlich Bitharn weiter. Kellands Schulter versperrte ihr zum Teil die Sicht, aber sie sah einen kurzen Flur aus schwarzem Stein, der in einem weiteren Bogen endete. Dieser war jedoch nicht leer wie die vorangegangen Türen. Schnitzereien zogen sich wie Schlangen über den Obsidian. Jede der schwarzen Ranken bildete einen Arm, und jeder Arm endete in einer knochigen Hand, die sich mit krallenbewehrten Fingern ihnen entgegenstreckte. Keine Tür aus Holz oder Stein versperrte den Eingang, aber die Luft knisterte von einer bösartigen Macht, so greifbar wie dieser Vorhang aus Sonnenlicht, der die Gefangenen in der Himmelsnadel festhielt.
    Auf der anderen Seite bewegte sich etwas.
    »Dorn!«, rief Kelland. »Entfernt diesen Schutzzauber!«
    Malentir kam langsam herbei. Er benutzte Aurandane wie ein alter, blinder Mann seinen Gehstock und glitt in einem Wirbel zerlumpter Roben und mit einem beunruhigenden Duft an Bitharn vorbei; er hatte wieder den Duft von Bernstein und Mandeln aufgetragen, zum Schutz vor dem Gestank Schattenfalls.
    »Wollt Ihr das wirklich?«, fragte er. »Sie sind besudelt, diese Kreaturen. Gefährlich.«
    »Sie sind menschlich. Ich kann sie retten. Entfernt den Schutzzauber.«
    Der Dornenlord bewegte sich nicht sofort. »Einige von ihnen«, erwiderte er, während er den Fluss der Schnitzereien rund um die Tür studierte, »werden sterben müssen. Ich kann diesen Zauber entwirren, wenn Ihr es wollt. Er ist primitiv, und viel von seiner Kraft ist mit Gethel gestorben. Aber dann werde ich nicht die Kraft haben, uns alle von hier fortzubringen. Gewiss werde ich die Überlebenden nicht über den Weg meiner Herrin tragen können. Nicht ohne ihren Blutpreis. Seid Ihr bereit, ihn zu zahlen?«
    Kelland biss die Zähne zusammen. Die winzige Flamme, die über seiner Hand schwebte, loderte weiß auf. Aber er nickte.
    Malentir zog sein Elfenbeinstilett und ging zu dem Gewirr aus Händen. »Dann tretet zurück. Ich kann nicht arbeiten, wenn Ihr die Flamme so nah haltet.« Der Sonnenritter zog sich zurück, und sein Licht verblasste mit der Entfernung. Der Dorn stach genau in der Mitte zwischen die ausgestreckten Hände des Bogens und schnitt sie glatt durch, als wäre der Obsidian lebendiges Fleisch. Die Hände ballten sich zu Fäusten, schnappten vergebens nach der Elfenbeinklinge und lösten sich zu schwarzem Sand auf.
    Weiße Knochen zeigten sich, als sie in sich zusammenfielen, wie die vergänglichen Skelette brennender Blätter; dann brachen auch sie auseinander. Bitharn erhaschte einen Blick auf die Monstrosität, die an der Tür lag: ein von Zaubern geschaffenes Geschöpf aus abgetrennten Armen, das nach der letzten ihm verbliebenen Erinnerung an das Leben griff … aber barmherzigerweise löste sich die Vision zur gleichen Zeit wie die Knochen auf. Sie schloss die Augen, um zu vergessen.
    »Der Weg ist frei«, sagte der Dornenlord und trat beiseite. Er schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und atmete mühsam. »Tretet ein!«
    Bitharn tat wie geheißen, voller Angst vor dem, was sie vielleicht vorfinden würde. In der Nähe des Eingangs sah sie vertrocknete menschliche Fäkalien und abgenagte Knochen. Sie machte einen weiteren Schritt und drängte die Dunkelheit zurück. Ein halbes Hundert Augen starrte sie an. Kinder, grau und ausgezehrt kauerten in dem lichtlosen Raum. Die meisten waren kahl, und alle waren nackt oder fast nackt, bekleidet mit Lumpen, die ebenso verdreckt waren wie ihre Haut. Das Weiß ihrer Augen war von einem trüben Gelb, ihre Pupillen geweitet und schwarz, ihre Zähne zu grauem Brei zerfallen … aber sie waren menschlich.
    Alle Hände waren vernarbt. Wunden zogen sich kreuz und quer über die Handinnenflächen, rohe rote Linien verliefen über halb verheilten Schnittwunden. Dunkler Sand hatte sich in die Wunden gegraben, und Bitharn konnte die Knochen der Kinder sehen, schwarz unter ihrem bleichen Fleisch.
    Einige wiegten sich sachte in einem Singsang. Ein magerer Junge barg den Kopf in der Armbeuge und ließ ihn hin- und herschwanken. Ein Mädchen hatte sich die Lippen rund um den Mund weggekratzt, sodass ihre Zähne zu einem monströsen

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