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Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Merciel
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geleitet wurde.
    Im Laufe der Jahre hatte sie das innere Heiligtum des Hohen Solaros wahrscheinlich zehn- oder fünfzehnmal betreten – nicht oft, aber häufig genug, dass sie diesen Ort als etwas Ewiges betrachtete. Es lag immer ein Hauch von Süße in der Luft: Zedern- und Sandelholz von den kostbaren Schnitzereien, Rosen aus den Gärten im Sommer und Minze, wenn es draußen kühl wurde, duftende Kerzen im Winter, wenn die Gärten schliefen. Aber obwohl die Jahreszeiten wechseln mochten und die Düfte sich mit ihnen änderten, so blieb das Arbeitszimmer selbst doch stets gleich. Es war eine zeitlose Zuflucht, warm und voller Licht. Breite, klare Buntglasfenster luden die Sonne ein und fügten ihr eigenes glitzerndes Rubinrot und Gold dem natürlichen Glanz hinzu. Dank der Sammlung von Büchern und Landkarten des Hohen Solaros lag über dem Raum ein Hauch von Leder und Pergament, aber dieser Duft war nicht modrig und unangenehm. Bitharn fand, dass es einfach ausschließlich nach Wissen roch.
    Im Gegensatz zu seinem Arbeitszimmer war der Hohe Solaros jedoch dem Alter unterworfen. Ein leiser Schock durchfuhr sie, als sie merkte, wie viel älter er aussah. Thierras d’Amalthier war in Bitharns Erinnerung niemals jung gewesen, und mit jedem Jahr sah sie mehr Schnee in seinem Haar und mehr Linien auf seinem Gesicht, aber sie hatte ihn selten so erschöpft erlebt wie heute. In seinen privaten Gemächern trug er schlichte gelbe Roben mit nur einer matt glänzenden Goldstickerei am Saum zum Zeichen, dass er kein gewöhnlicher Erleuchteter war, doch diese kleine Erinnerung an sein Amt schien schwer auf dem Mann zu lasten. »Möge der Segen des Lichtes auf Euch ruhen. Nehmt bitte Platz.«
    »Vielen Dank, Eminenz.« Bitharn stützte sich auf die Armlehne, um sich auf dem Stuhl niederzulassen. Ihr zitterten immer noch die Beine.
    Der Hohe Solaros setzte sich ihr gegenüber und legte die Finger über der Karte von Ithelas zusammen, die unter einer Glasscheibe seinen Schreibtisch bedeckte. »Ich höre, Ihr wart jüngst in Cardental.«
    Das überraschte sie. Sie hatte erwartet, dass er sie zuerst wegen der Flucht des Dorns befragen würde. Gewiss musste er davon Kenntnis haben, dass sie Malentir geholfen hatte, aus der Himmelsnadel zu fliehen. »Das ist richtig, Eminenz.«
    »Wie seid Ihr dorthin gekommen?«
    Es ging also doch um den Dornenlord. Innerlich erbebte Bitharn. Aber sie erzählte ihm alles, angefangen von Kellands Gefangennahme draußen vor Tarnebrück bis hin zu ihrem Handel mit der Spinne und dem Verrat Versiels. Es hatte keinen Sinn, es zu verschweigen; er hätte von den anderen von Malentirs Anwesenheit in Schattenfall gehört, und es war besser, wenn er die ganze Wahrheit erfuhr. Dann würde er zumindest vielleicht verstehen, warum sie den Glauben verraten hatte.
    »Bedauert Ihr es, ihn befreit zu haben?«, fragte Thierras am Ende ihres Berichtes.
    »Ich bedaure, dass es die beste Entscheidung war, die ich treffen konnte. Aber ich glaube nicht, dass ich die falsche Entscheidung getroffen habe, wenn es das ist, was Ihr wissen wollt. Wenn es sein müsste, würde ich es wieder tun. Ich würde es tausendmal tun.«
    Der Hohe Solaros nickte, nicht zustimmend, sondern so, als habe er keine andere Antwort erwartet. »Sir Kelland war nicht der Erste, den sie gefangen genommen haben. Die Dornen versuchen schon seit einiger Zeit, einen unserer Gesegneten gefangen zu nehmen. Ich hatte den Verdacht, als die ersten Berichte aus Thelyandfurt kamen; ich war mir sicher, als ich von Oralias Tod erfuhr. Aber bis jetzt wusste ich nicht, warum.«
    »Sie wollen Duradh Mal. Und sie brauchen einen Gesegneten, der es reinigt.«
    »So scheint es.« Der Hohe Solaros richtete den Blick wieder auf sie.
    Bitharn wappnete sich gegen seine Enttäuschung. »Wird man mich tadeln?«
    »Nein. Euer Schuldgefühl ist Buße genug. Wir werden es bei der öffentlichen Geschichte belassen. Der Dorn hat Euch überlistet und ist entkommen; soweit es irgendwer außerhalb dieses Raumes wissen muss, wart Ihr eine unfreiwillige Gefangene. Wie die Dinge liegen, ist Euer Ungehorsam vielleicht der einzige Grund, warum Evenna und Asharre lebend zu uns zurückgekommen sind. Die Göttin wirkt auf seltsamen Wegen … hier, so scheint es, indem sie Liebe als Werkzeug benutzt hat.«
    Bitharn starrte auf ihre Fingerspitzen. Sie fühlte das Brennen der Röte in ihren Wangen und wünschte sich verzweifelt und hoffnungslos, sie könne an irgendeinem anderen Ort der Welt

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