Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
ihren Hals eher, als dass es sie verbarg. Ihre Lippe war aufgeplatzt, und sie blutete im Mundwinkel; irgendjemand hatte sie geschlagen, und zwar heftig. Und doch wirkte sie leuchtend, zutiefst zufrieden wie eine Jungfer in der Blüte neuer Liebe.
Die Geschichten sagten, dass Aedhras der Goldene durch das dekadente Kai Amur gereist war, als diese Frau ihn gefangen genommen und, wie es die Sitte der Dornen war, zur Befragung in ihren Tempel mitgenommen hatte. Dass er aus seinen Ketten geschlüpft war und sich mit all der Wildheit eines Mannes, der sich seinen Weg aus den Foltergruben erkämpft und überlebt hatte, gegen sie gewandt hatte. Und dass sie, unglaublicherweise, von seiner Gewalttätigkeit so verzaubert gewesen war, dass sie ihn aus der Gefangenschaft entlassen hatte, ihm quer durch Ithelas nach Westen gefolgt war und sich später durch eine Heirat an ihn gebunden hatte.
Es war die seltsamste Geschichte einer Werbung, die Kelland je gehört hatte. Aber während er sie nun ansah, geschunden und selig, war er durchaus imstande zu glauben, dass die Geschichte der Wahrheit entsprach.
Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und hüllte sich in seine Robe. In der Festung war es so früh im Frühling wie in jeder anderen zugigen Burg kühl. »Was?«
»Eine Frau. Eine, die behauptet, Eures Glaubens zu sein, obwohl Ihr da vielleicht anderer Meinung wäret.«
Er stand auf. »Ihr habt eine andere Celestianerin eingekerkert?«
»Nein. Nein, Ihr seid nach wie vor einzigartig in meiner Sammlung.«
»Wer ist diese Frau?«
»Das zu entscheiden ist an Euch, sobald Ihr sie gesehen habt.«
»Wo ist sie?«
»In Cailan. Kleidet Euch für die Straße. Ihr werdet nicht zurückkehren.«
Kelland zögerte. Eine Reise nach Cailan bedeutete Blutmagie und eine weitere Reise durch die Schatten. Er verabscheute das Gefühl der Magie der Dornen … aber er war ein Gefangener, und es war töricht zu glauben, dass die Spinne ihm ihren Willen nicht aufzwingen würde.
Also kleidete er sich an, wobei er versuchte, ihre Gegenwart zu ignorieren. Er tauschte seine Robe gegen die Kleidung, die sie ihm mitgebracht hatte. Hosen und Kasack, gute Lederschuhe, einen Umhang aus schlichter, warmer Wolle. Keine Waffen. Es fühlte sich seltsam an, etwas anderes zu tragen als das mit der Sonne gezeichnete Weiß der Gesegneten, und seltsamer noch, sich ohne ein Schwert zurück auf die Straße zu wagen, aber zum ersten Mal seit seiner Gefangennahme fühlte Kelland sich wie eine Person und nicht wie ein Gefangener.
Während er sich anzog, hatte Avele eine Silberkette aus ihrem Ärmel gezogen. Eine kleine, mit dunkler Flüssigkeit gefüllte Glasflasche baumelte an der Kette. Sie öffnete den silbernen Verschluss und trat dicht vor den Ritter hin. Kelland fing den Duft von Blut auf, durchmischt mit der Myrrhe und dem Weihrauch ihres Parfüms.
»Was …«
Sie unterbrach seinen Protest, bevor er ausgesprochen war. »Ihr müsst Euch tarnen, bevor wir in die Stadt gehen. Ihr seid ein sehr auffälliger Mann und ein sehr berühmter, und selbst bei Nacht würde man Euch wahrscheinlich erkennen. Das käme ungelegen. Bestenfalls würde es Fragen bedeuten, die zu beantworten ich keine Zeit habe; schlimmstenfalls könnte jemand einen Rettungsversuch unternehmen, und dann müsste ich möglicherweise die halbe Stadt töten, um Euch zu behalten. Überaus lästig. Es ist besser, wenn Ihr mir erlaubt, Euer Gesicht zu bemalen.«
»Mit Blut?«
»Mit Magie.«
Mit ihren federleichten Fingerspitzen zeichnete sie Blutrunen auf sein Gesicht und flüsterte dabei eine Beschwörung an ihre grausame Göttin. Das Blut war warm, vielleicht weil sie es dicht am Körper getragen hatte, vielleicht weil es gerade erst einem menschlichen Leib entnommen worden war. Kelland starrte auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand und wartete darauf, dass die Prozedur zu Ende ging.
Die gemalten Siegel kühlten auf seinem Gesicht schnell ab. Während sie ihren Gesang beendete, erwärmten sich die Siegel, bis die Male schmerzhaft heiß wurden und das Blut auf seiner Haut kochte. Dann war die Hitze abrupt verschwunden und die Feuchtigkeit mit ihr.
Er sah an sich herab. Seine Hände, sein Leben lang von einem dunklen, kräftigen Braun, waren jetzt auf der Oberseite sonnengebräunt und auf der Innenseite bleich und wiesen die Schwielen und geschwollenen Knöchel eines Mannes auf, der sein Leben im Kampf verbracht und diese Kämpfe ebenso oft mit Fäusten wie mit Schwertern ausgetragen
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