Schwarzkittel
Familie zu kitten und die Gärtnertätigkeit, um die Nachbarn zufriedenzustellen. Außerdem hatte ich Hunger. Im Moment konnte ich sogar ein klein wenig nachvollziehen, wie manche Menschen in solch belastenden Situationen ihr Heil in der Vorhersage der Zukunft durch Handlesen, Tarot oder Horoskope suchten.
Es klingelte. Eine knappe halbe Stunde zu früh. Na ja, das kam immerhin meinem leeren Magen zugute. Ich öffnete die Tür, um mein Leben zu ändern.
Sie war Anfang 20, höchstens 25 und strahlte mich mit den weißesten Zähnen an, die ich je gesehen hatte. Ihre zierliche Figur passte zu ihren dunklen, leicht lockigen schulterlangen Haaren und dem für meine Gefühle viel zu dünnen und an vielen Stellen fast durchsichtigen Sommerkleid. Die junge Dame verfügte über eine derart sinnesraubende Ausstrahlung, dass es mich alle Kraft kostete, nichts Peinliches zu sagen.
»Hi«, hauchte sie mir ins Gesicht. »Bin ich hier richtig bei Herrn Reiner Palzki?«
Ich nickte, da ich geistig immer noch nicht zu einem anständigen Dialog fähig war.
»Na prima, das war ja leicht zu finden. Ich habe eine Überraschung. Darf ich reinkommen?«
Ich nickte erneut und machte ihr Platz. Selbstbewusst ging sie an mir vorbei ins Wohnzimmer und setzte sich ungefragt auf die Couch. »Schön ist es hier, vor allem haben Sie viel Platz.«
Mir war es selbst schon peinlich, aber ich konnte aufgrund ihrer Erscheinung nicht anderes, als ihr lediglich stumm zuzunicken.
Sie betrachtete mich eingehend. »Sehr gesprächig sind Sie nicht gerade. Da hat Sie mir meine Mutter ganz anders dargestellt.«
»Ihre Mutter?« Ich hatte meine Sprache zurück. »Wer ist Ihre Mutter?«
»Sie hat mir viel von Ihnen erzählt, glauben Sie mir. Sogar die pikanten Sachen.«
Normalerweise wirft man einen Fremden spätestens jetzt hinaus. Doch das ging nicht. Ich roch, dass es hier ein Geheimnis zu lösen gab. Die Schöne hatte mich neugierig gemacht.
»Sie sehen, dass ich ziemlich verdattert bin. Wer ist denn jetzt Ihre Mutter?«
Sie lachte. Es war ein sehr angenehmes und fröhliches Lachen, genau das Gegenteil von Fürchtegott Mayers überheblichem Getue.
»Simonetta heißt sie mit Vornamen, sagt Ihnen das was?«
Ich überlegte, kam aber zu keinem Ergebnis. »Tut mir leid, mir sagt der Name überhaupt nichts. Wie lautet denn ihr Nachname?«
»Sie heißt Simonetta Acqua. Dieser Nachname ist Ihnen aber unbekannt, Sie kennen sie noch unter ihrem Mädchennamen Simonetta Nobilio.«
Nobilio, richtig, da war doch was. Und in diesem Moment viel es mir wieder ein. Turin, vor 23 Jahren. Simonetta, meine große Liebe, die genau fünf Tage hielt. Mit der Jugendgruppe war ich damals als Betreuer 14 Tage im Ferienlager in Turin. Es waren wunderschöne Ferien, die zu betreuenden Kinder waren äußerst pflegeleicht und das Wetter ideal für Ausflüge und Entspannen im Freibad. In den letzten Tagen lernte ich Simonetta kennen, sie war die kleine süße Tretbootsverleiherin, die mir schon am zweiten Tag des Urlaubs aufgefallen war. Doch wie es manchmal so ist, brauchte ich einige Zeit um den Mut zu fassen, sie anzusprechen. Dank ihres Bootsverleihs war sie durchaus der deutschen Sprache mächtig, auch wenn wir nur wenige Worte benötigten, um uns zu verständigen. Es war ein Traum mit ihr, der allerdings viel zu schnell endete. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich Stefanie kennenlernte, waren das die schönsten fünf Tage meines Lebens gewesen. Mit der Rückkehr aus Italien war alles vorbei. Noch zwei oder drei heißblütige Briefe, dann erhielt ich keine Antwort mehr.
»Wie geht es Simonetta?«, fragte ich ihre Tochter. »Es ist verdammt lange her, seit ich sie gesehen habe.«
»Meine Mutter lebt bis heute in Torino, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Ich bin übrigens die Ältere und 22 Jahre alt.« Sie sah mich bei diesen Worten fragend an. »Na, hast du es immer noch nicht kapiert? Du bist mein Vater!«
Schweigen. Irgendwann dauerte ihr es zu lang. »Was ist los? Hast du damit ein Problem? Soll ich wieder gehen?«, schmollte sie nach einer Weile.
Ich stotterte zunächst etwas Unverständliches vor mich hin. Dann gelang es mir, mich zusammenzureißen. »Was soll ich sagen? Ich werde nicht jeden Tag Vater einer erwachsenen Tochter. Wie ist eigentlich dein Name?«
»Alessia Acqua. Ich trage den Nachnamen meines vermeintlichen Vaters.«
Ich horchte auf. »Wieso vermeintlich?«
»Ganz einfach, zwei Tage nach deiner Heimreise lernte sie ihren jetzigen Ehemann
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