Schwarzlicht (German Edition)
hielten den Betrieb im Studio des Lokalsenders aufrecht. Nur in der Werbeagentur ackerten noch rund zwei Dutzend Angestellte an einer Wettbewerbspräsentation.
Eine ungewöhnliche Beobachtung habe niemand gemacht, abgesehen von einem Knall am späten Nachmittag – vermutlich eine weitere Fehlzündung bei der Vorbereitung des Feuerwerks von vorhin. Über die Uhrzeit gingen die Angaben auseinander.
Und eine Frau vom Radio habe berichtet, dass ein Kollege eines Morgens den Ministerpräsidenten in der Tiefgarage erkannt habe. Vier oder fünf Tage sei das her.
«Wir haben sie nicht gezielt nach Castorp gefragt», beteuerte Marietta. «Das hat die Radiotante von sich aus erzählt.»
«Ist sie nicht neugierig geworden, warum die Polizei Fragen stellt?»
«Und wie!»
«Was habt ihr gesagt?»
«Wir haben sie auf die morgige Pressekonferenz verwiesen. Es wird doch eine geben?»
«So sicher wie den Anpfiff beim Fußball.»
Vincent verabschiedete die Kollegen der Kriminalwache. Die oberste Etage hatte inzwischen die Tatortgruppe in Beschlag genommen, vier Kriminaltechniker, die Osterkamps Luxusbude auf den Kopf stellten.
Vincent sah momentan keine Aufgabe für sich – die Chance auf etwas Sport zum Ausklang des Tags und ein paar Stunden Schlaf.
Als er das Apartment des schwulen Designers aufschloss, erschienen ihm die letzten Stunden wie ein schräger Traum. Er packte die Sporttasche aus, zog Laufklamotten an und schnallte sich die Bleimanschetten um die Waden. Damit hoffte er, seine Trainingszeit verkürzen zu können, ohne an Fitness einzubüßen. Er legte zudem die Weste mit den Gewichten an. Jetzt wog er rund neunzig Kilo.
Durch den Stadtteil Volmerswerth lief er zum Rhein. Rasch ging der Puls hoch, vom letzten Marathon brannten ihm noch die Muskeln. Der Fahrweg auf dem Deich war nur spärlich beleuchtet, ab und zu kamen ihm Spaziergänger mit Hunden entgegen, einmal eine Joggerin, spät wie er.
Drei Mal rannte er bis zur Autobahnbrücke und zurück. Als er wieder die Adresse am Park erreichte, zeigte der Distanzmesser fast genau zehn Kilometer. Dreiundvierzig Minuten hatte er gebraucht, mehr als sonst. Aber nachdem er sich der Weste und Manschetten entledigt hatte, fühlte er sich wunderbar leicht.
Er kontrollierte das Handy. Kein Anruf während seiner Abwesenheit. Dann entnahm er der Sporttasche die Kurzhanteln, jeweils zwanzig Kilo – deswegen hatte sich Ingo Ritter über das Gewicht der Tasche gewundert. Vincent absolvierte sein Standardprogramm für Oberkörper und Arme, bis die Muskeln nicht mehr gehorchten. Die Sehnen schmerzten, es stach in den Gelenken, aber der heilige Sebastian hatte einst viel mehr gelitten.
In der Küche fand Vincent ein großes Glas, fast ein Pokal. Es war farbig, Vincent musste an die Manufaktur in Murano denken, die er einmal mit Nina besucht hatte. Er füllte das Glas mit Leitungswasser und rührte ein paar Löffel Proteinpulver hinein. Seine Hände zitterten noch vom Training.
Er duschte kalt, um den Körper auf Normaltemperatur zu bringen, und ging zu Bett. Der komische Heilige sah auf ihn herab, der Schwanz so dick wie der Rüssel eines Elefanten und fast halb so lang. An das Bild werde ich mich nie gewöhnen, dachte Vincent. Diese Wohnung ist nicht meine, ganz und gar nicht.
Er löschte das Licht. Es war fast ein Uhr, doch trotz seiner Erschöpfung fand er nicht die erhoffte Ruhe. Er überlegte, ob er die Kollegen der Kriminaltechnik eindringlich genug beschworen hatte, mit größter Sorgfalt nach Spuren zu suchen. Der Inspektionsleiter ging ihm durch den Kopf, dessen herablassender Ton.
Und Nina – Vincent versuchte, sich nicht vorzustellen, was sie gerade trieb. Für einen Anruf bei ihr war es jetzt zu spät.
Irgendwann riss ihn der Klingelton aus dem Schlaf. Vor dem Fenster begann sich der Himmel von den schwarzen Umrissen der Nachbarhäuser zu unterscheiden. Vincent ertastete das Smartphone auf dem Nachtkästchen.
Kollege Fabri von der Tatortgruppe war dran: Blutspuren am Bademantel des Toten sowie in einer Fliesenfuge nahe dem Schwimmbecken.
Sofort war Vincent hellwach, stieg in seine Klamotten und machte sich auf den Weg.
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Teil zwei
Dienstag, 14. Mai
11
Die Luft war kühl und roch süßlich nach den Pollen der Bäume im nahen Park. Eine erste Amsel trällerte, sonst war es still. Morgengrauen, noch fehlten die Farben. Vincent trat an den Straßenrand. Eine Sekunde der Orientierungslosigkeit, bis ihm einfiel, wo sein Wagen
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