Schwarztee - Tatort-Salzkammergut Krimi
Scheiner.
»Griaß di, Berenike!«, hörte sie eine weibliche Stimme.
Berenike bremste vor dem Bauernhaus. Ein brauner Wuschelkopf tauchte hinter
üppig bepflanzten Blumenkästen auf. Das Gesicht wirkte bemerkenswert faltenfrei
und ausgeschlafen.
»Oh, servus, Susi! Wie gehts? Was macht die Uni?«
»In drei Wochen hab ich noch eine Prüfung, aber dann sind
Ferien. Die ganzen Paragrafen sind schon anstrengend.«
Dass sie Susi traf, war ein Wink des Schicksals. »Susi, hast
du vielleicht Zeit und könntest heute im Teesalon aushelfen? Ich weiß, es kommt
ein bisschen plötzlich …«
Die Jus-Studentin hatte sich bei Berenike um einen Sommerjob
beworben. Während der Schulferien würde Berenike sowieso eine weitere
Arbeitskraft brauchen, von Ragnhilds seltsamen Verhalten ganz abgesehen.
»Ja, gern, Berenike! Wann denn?«
»Gehts gleich?«
»Okay. Ich komm in einer halben Stunde, gut?«
»Super! Danke dir!«
Susi traf beschwingt und mit wallendem
Lockenhaar im Salon ein, die blitzenden dunklen Augen schwarz geschminkt.
Berenike hatte der jungen Frau bereits neulich alles gezeigt. Die Schöße von
Susis Dirndlkleid schwangen fröhlich hinter ihr her. Eine echte Ausseerin, die
Susi. Nicht schlecht für den Salon!
Berenike zitterte ein wenig, als sie an ihr Vorhaben dachte,
den Vermieter ihres Lokals zur Rede zu stellen. Die Regeln der Höflichkeit
waren ihr von klein auf eingebläut worden. Das sollte wettmachen, dass der
Vater nie dazu gepasst hatte, auch wenn sie lange nicht wusste, weshalb. Der
Großvater, herrisch und unnahbar, hatte unerbittlich auf die Einhaltung der
Verhaltensnormen gepocht. Sich selbst genehmigte er Ausnahmen. Mit ihrer
Cousine Christine hatte er geflirtet wie im Puff. ›Hier oder draußen? Probieren
wirs noch einmal?‹ Alle hatten gelacht. Süßes Mädchen, ist doch Verwandtschaft!
In die Wange kneifen, Zwickerbussi, wasn schon dabei. ›Bist schon ’ne richtige
Frau, wa, Kleene?‹ Das Preußisch hat er nie abgelegt, der Ostmärker. Hat es
gelernt, um zu gefallen, wem schon, den deutschen Okkupanten. Krieg, das war
es. Immer schon. Unausgesprochen.
Jetzt hingegen musste Berenike Scheiner und seiner Gang
klarmachen, dass sie sich nicht alles bieten ließ. Viel zu lange hatte sie sich
klein gemacht, war ruhig geblieben. Auch und gerade hier. Weil sie sich als
Neue anpassen musste, so hatte sie gemeint. Doch jetzt …
Sie rief Ragnhild an, aber die war wieder einmal nicht
erreichbar. Am Vorabend war Berenike bei ihr vorbeigefahren, alles hatte leer
und still ausgesehen. Sie machte sich langsam Sorgen um sie. Noch dazu konnte
sie Ragnhilds Unaufmerksamkeit den Gästen gegenüber nicht länger dulden. Erst
neulich war sie dazugekommen, wie eine Gruppe von sechs Personen wieder
gegangen war, ohne etwas zu bestellen – Ragnhild hatte sie nicht bedient,
sondern seelenruhig hinter der Theke sitzend gelesen! Sie würde nachher
nochmals bei ihr vorbeischauen, jetzt, da Susi aushalf. Sie nahm eine Packung
Alm-Kräutertee aus dem Regal, der half bei allen Arten von Unwohlsein,
körperlich wie seelisch. Jetzt aber los! In der Tür stieß sie beinahe mit dem
Briefträger zusammen. »Griaß di.« Er musste neu sein, ein schlanker junger
Mann, schalkhaftes Blitzen in den braunen Augen, aber das hatten hier viele. Er
hielt ihr ein Paket entgegen.
»Ich muss los, die Susi ist drinnen. Magst einen Tee? Sie
wird dir was anbieten!«
Er lächelte, nickte, sah sie an. Unerwartet prickelte es in
ihrem Schoß. Wie lange war sie mit keinem Mann mehr ausgegangen? Geschweige
denn …
Sie nickte dem Postler zu
und ging. Die Minuten verrannen, bis – sie
womöglich ihr Lokal verlor? Was würde der Hausherr tun? Räumungsklage
einreichen? Er hatte sich immer sonderbar verhalten. Bei Tageslicht betrachtet,
nahm Berenike seine Drohungen nicht so ernst. Aber …
Oder war alles anders? Vielleicht sollte sie Inspektor Kain
anrufen. Nur was sollte sie ihm schon sagen … er würde sie für paranoid
halten.
»Guten Tag, Fräulein Berenike! Ich muss mit Ihnen reden!«
Berenike hatte nicht auf das Auto geachtet, das gerade
geparkt hatte. »Die Polizei, grad hab ich an Sie gedacht.« Sie lächelte
Inspektor Kain und seinen Kollegen Gerbl an. »Schmeckt Ihnen mein Tee so gut?«
Kain verzog keine Miene. »Es ist ernst, Fräulein Berenike.«
Er musterte sie von oben bis unten. Seine Haut wirkte grau. Von seiner
Attraktivität würde bald nicht mehr viel
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