Schwarzwaelder Dorfgeschichten
Buchmaiers Agnes, kommen, da werdet Ihr nimmer fragen, was man schwätzt, die weiß eine Kuhhaut voll.«
»Habt Ihr denn noch gar keine Bücher gelesen?«
»Ja freilich, das G'sangbuch und die biblisch' G'schicht'.«
»Sonst nichts?«
»Und das Blumenkörble und die Rosa von Tannenburg.«
»Und noch?«
»Und den Rinaldo Rinaldini. Jetzt wisset Ihr Alles,« sagte das Mädchen, mit beiden Händen über die Schürze streifend, als hätte es sein gesammtes Wissen jetzt vor dem Lehrer ausgeschüttet; dieser aber fragte wieder:
»Was hat Euch denn am besten gefallen?«
»Der Rinaldo Rinaldini, 's ist jammerschad, daß das ein Räuber gewesen ist.«
»Ich will Euch auch Bücher bringen, da sind viel schönere Geschichten darin.«
»Erzählet uns lieber eine, aber auch so eine recht grauselige; oder wartet lieber, bis die Agnes auch da ist, die hört's für ihr Leben gern.«
Da kam ein Knabe und sagte dem alten Lehrer, er solle sogleich zum Bäck kommen und seine Geige mitbringen, des Bäcken Konrad habe einen neuen Walzer bekommen; schnell erhob sich der Alte, sagte: »Wünsch' gute Unterhaltung,« und ging von dannen.
Als nun der Lehrer mit Hedwig allein war, erzitterte sein Herz; er wagte es nicht, aufzuschauen. Endlich sagte er so vor sich hin:
»Es ist doch ein recht guter alter Mann.«
»Ja,« sagte Hedwig, »und Ihr müsset ihn erst recht kennen. Ihr müsset es ihm nicht übel nehmen, er ist gegen alle Lehrer ein bisle bös und brummig; er kann's noch nicht verschmerzen, daß er abgesetzt worden ist, und da meint er, ein Jeder, der jetzt als Lehrer Hierher kommt, der sei jetzt grad dran schuld, und der kann doch nichts dafür, das Consistore schickt ihn ja. Es ist eben ein alter Mann, man muß Geduld mit den alten Leuten haben.«
Der Lehrer faßte die Hand des Mädchens und blickte es innig an; dieses liebende Verständniß fremden Schicksals belebte seine ganze Seele. Plötzlich fiel ein todter Vogel vor den Beiden nieder, sie schreckten zusammen; Hedwig bückte sich aber alsbald und hob den Vogel auf.
»Er ist noch ganz warm,« sagte sie, »du armes Thierle, bist krank gewesen und hat dir Niemand helfen können; es ist nur eine Lerch', aber es ist doch ein lebigs Wesen.«
»Man möchte sich gern denken,« sagte der Lehrer, »ein solcher Vogel, der singend himmelan steigt, müßte beim Sterben gleich in den Himmel fallen; er schwebt so frei über der Erde, und nun berührt ihn der Tod, und von der Schwerkraft der Erde angezogen, fällt Alles.
immer wieder
zur Erd' hernieder.«
Hedwig sah ihn groß an, diese Worte gefielen ihr, obgleich sie dieselben nicht recht begriff; sie sagte nach einer Pause:
»'s ist doch arg, daß sich seine Verwandten, seine Frau oder Kinder gar nichts um ihn kümmern und ihn nur so 'rabfallen und liegen lassen; es kann aber auch sein, sie wissen noch gar nicht, daß er gestorben ist.«
»Die Thiere,« sagte der Lehrer, »wie die Kinder verstehen den Tod nicht, weil sie nicht über das Leben nachdenken; sie leben bloß und wissen nichts davon.«
»Ist das auch g'wiß so?« fragte Hedwig.
»Ich meine,« erwiderte der Lehrer. Hedwig erörterte die Sache nicht weiter, wie sie überhaupt nicht gewohnt war, anhaltend etwas zu ergründen; der Lehrer aber dachte: hier sind die Elemente einer großen Bildungsfähigkeit, hier ist schon der Stamm eines selbständigen Geistes. Den Vogel aus des Mädchens Hand nehmend, sagte er dann:
»Ich möchte diesen Bewohner der freien Lüfte nicht in die dunkle Erde versenken, hier an diesen Baum möchte ich ihn heften, damit er im Tode in einzelne Stücke verfliege.«
»Nein, das gefällt mir nicht; an des Buchmaiers Scheuer ist eine Eul' angenagelt, und ich möcht's allemal, wenn ich vorbeigeh', 'runter nehmen.«
Stille begruben nun die Beiden den Vogel. Der Lehrer, der heute so glücklich in seinen Entdeckungen war, ging schnell einen Schritt weiter; er wollte erproben, wie weit sich Hedwig einer feinern Bildung fügen würde.
»Ihr sagt so gescheite Sachen,« begann er, »daß es jammerschade ist, daß Ihr das holperige Bauerndeutsch sprecht, Ihr könnet es sicherlich auch anders, und das würde Euch viel besser anstehen.«
»Ich thät mich in die Seel' 'nein schämen, wenn ich anders reden thät, und es versteht mich ja auch ein Jedes.«
»Allerdings, aber gut ist gut, und besser ist besser. In welcher Sprache betet ihr denn?«
»Ei, wie's geschrieben steht, das ist ganz was anders.«
»Keineswegs, wie man mit Gott
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