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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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dazu diente, den schroffen Gedankensprung oder die Ungleichheit des Silbenmaßes auszugleichen, innehalten; dann ermunterte ihn Hedwig mit ihren Blicken, die so viel sagten als: sing nur mit, wenn's auch nicht ganz gut geht. So vereinte der Lehrer seine Stimme mit denen der dörflichen Sänger.
    Jetzt war es so weit gekommen, daß er nur den Ton und die Bauern das Wort und den Gedanken hatten.
    Man sang:
     
    Bald gras' ich am Neckar,
    Bald gras' ich am Rhein,
    Bald hab' ich ein Schätzle,
    Bald bin ich allein.
     
    Was hilft mich das Grasen,
    Wenn d' Sichel nicht schneid't?
    Was hilft mich ein Schätzle,
    Wenn's nicht bei mir bleibt?
     
    Und soll ich denn grasen
    Am Neckar, am Rhein,
    So werf' ich mein schönes
    Goldringlein hinein.
     
    Es fließet im Neckar,
    Und fließet im Rhein;
    Soll schwimmen hinunter
    In's tiefe Meer 'nein.
     
    Und schwimmt das Goldringlein,
    So frißt es ein Fisch,
    Das Fischlein soll kommen
    Auf Königs sein Tisch.
     
    Der König thut fragen,
    Wem's Ringlein soll sein;
    Da thut mein Schatz sagen:
    Das Ringlein g'hört mein.
     
    Mein Schätzlein thut springen
    Bergauf und bergein,
    Thut wieder mir bringen
    Mein Goldringelein.
     
    Kannst grasen am Neckar,
    Kanst grasen am Rhein,
    Wirf du mir nur immer
    Das Ringlein hinein.
     
    Nach einer Weile drückte Thaddä Agnes näher an sich und sie sangen:
     
    Mädle ruck, ruck ruck
    An meine rechte Seite,
    I hab' dich gar zu gern,
    I kann di leide.
     
    Wann die Leut' et' wär'n,
    No müschtst mein Schätzle wär'n,
    Wär'n die Leut' et g'west,
    No wärst mein Weible jetzt.
    Mädle, ruck u.s.w.
     
    Mädle guck, guck, guck
    In meine schwarze Auge,
    Du kannst dein lieble
    Bildle drin erschaue;
    Ja, guck du nur 'nein
    Du muscht drinne sein,
    Du muscht bei mir bleibe,
    Muscht mir d' Zeit vertreibe.
    Mädle guck u.s.w.
     
    Mädle du, du, du
    Muscht mir den Trauring gebe,
    Sust liegt mir wahrlich
    Nix mehr an mei'm Lebe.
    Wann i di net krieg,
    No zieh ni fort in Krieg;
    Wann i di net hab'
    No wurd mir d' Welt zum Grab.
    Mädle du u.s.w.
     
    Noch gar viel andere, meist traurige Lieder wurden gesungen, obgleich die Sänger heiter und frohen Muthes waren. Wie der Brunnen zu ihren Füßen fortquoll und leise durch die Felder dahin rieselte, so schien auch der Liederquell unerschöpflich.
    Der Lehrer war wie in eine neue Welt versetzt. Wohl hatte er schon früher die kindlich zarte Empfindungs- und Denkweise des Volksliedes kennen gelernt, aber er hatte sie nur gekostet, wie man an reich besetzten Tafeln die Walderdbeeren ihres eigentümlichen Duftes wegen den künstlich gehegten und gepfropften vorzieht, sie aber doch mit Zucker und Wein verzehrt; hier aber war er selbst in den Erdbeerenschlag gekommen, und nicht in Haufen genossen, sondern einzeln frisch vom Strauche gepflückt, schmeckte die Frucht noch ganz anders.
    Die tiefe Urkraft des Volksliedes erschloß sich unserm Freunde in ihrer ganzen Herrlichkeit, er sah sich liebend umfangen von der edlen, majestätischen Herrlichkeit des deutschen Volksgemüths, und die liebliche Vertreterin desselben saß in trauter Zuneigung an seiner Seite. Er gelobte sich, ein Priester dieses heiligen Volksgeistes zu werden.
    Als er Abends mit Hedwig heimkehrte und sie vor der Großmutter standen, faßte er ihre Hand, drückte sie an sein Herz und sagte:
    »Nicht zu mühseliger Arbeit sollt Ihr für mich Eure Hände erheben, sondern für das was ihnen gebührt, zum Segnen.«
    Mehr konnte er nicht sprechen, und er ging rasch von dannen.
    Im ganzen Dorfe sprach man am Abend von nichts als davon, daß der Lehrer mit des Johannesle's Hedwig Bekanntschaft habe.
    Unser Freund, der früher immer so gern und fast ausschließlich allein gewesen war, konnte jetzt, wenn er seine Schulstunden beendet hatte, fast keine Viertelstunde mehr allein ausdauern, in seinem Hause oder außer demselben. Von all den Büchern, die er bei sich hatte, paßte ihm keines zu seiner Stimmung, und wollte er etwas in sein Taschenbuch schreiben, erschien es ihm so nackt und nichtig, daß er es alsbald wieder durchstrich.
    Im Felde konnte er es zu keinem Gedanken und zu keiner Zeichnung mehr bringen, er sprach mit Jedem, der ihm begegnete oder am Wege arbeitete; die Leute waren freundlich gegen ihn, denn seine offene Seele war auf sein Antlitz herausgetreten. Oft aber stand er auch bei den Leuten und sah träumerisch lächelnd vor sich hin, ohne ein Wort weiter zu sprechen; es war, als könne er nicht weggehen, als fürchte er sich, wieder in seine

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