Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
Vom Netzwerk:
seiner Vollständigkeit wieder zu erlangen, denn fast Niemand im Dorfe kannte mehr von einem Liede alle »Gesätze«. Nach und nach wurden auch einige neue Lieder gelernt, sehr behutsam, aber nichts desto minder nachdrücklich Ton- und Taktübungen gehalten, und sogar die Noten einstudirt. Wie bei dem Leseverein der Gegenkampf des Studentle, so war hier die Anmaßung des Jörgli zu überwinden, denn dieser wollte als berühmter Sänger sich geltend machen und die Hauptperson spielen; dabei aber verhöhnte er jede taktmäßige Einübung. Es gelang nicht, den Jörgli ganz zu gewinnen, er schied aus, und der Verein drohte zu zerfallen. Die guten Folgen desselben hatten sich schon offenbar kund gegeben; viele gemeine, unzüchtige Lieder wurden von den besseren verdrängt, wenn auch vorerst nicht weil diese besser, sondern weil sie neu waren. So gewannen doch Worte und Klänge aus reineren Regionen Raum und weckten manchen zarteren Widerhall in den Gemüthern.
    Nun aber sprengte der Jörgli überall aus, der Lehrer wollte den großen Leuten Kinderlieder einlernen, es sei eine Schande für einen erwachsenen Menschen solche zu singen; er gewann bald ziemlichen Anhang, und wenn auch noch einige dem Vereine treu blieben, so waren das doch nur Wenige. Der Thaddä wollte den Jörgli tüchtig durchprügeln, der Buchmaier aber fand ein gelinderes Mittel zur Aufrechthaltung des Vereins. Er lud nämlich den Pfarrer und alle bisherigen Mitglieder des Vereins mit Ausnahme des Jörgli zum Nachtessen am Sylvesterabend bei sich ein, dadurch gewann Alles wieder neues Leben.
    Der Pfarrer hatte den Lehrer in seinen Bestrebungen ganz gewähren lassen, denn er war keiner von Jenen, die Alles in ihrer Hand haben und von sich ausgehen lassen wollen.
    Am Sylvesterabend war nun großer Jubel beim Buchmaier, man trank, sang und scherzte.
    »Herr Lehrer,« sagte der Buchmaier einmal, »wenn Ihr geheirathet habt, müsset Ihr auch einen Mädchengesangverein stiften.«
    »Junge Weiber dürfen aber auch dabei sein,« rief Agnes.
    »Ja, die müsset Ihr aber in einem Trumm fort singen lassen, sonst schwätzen sie dem Teufel ein Ohr weg.«
    Manches Hoch wurde ausgebracht. Sonst ganz blöde Burschen wagten es hier vor Pfarrer, Lehrer und Schultheiß ein öffentliches Wort zu sprechen.
    Zuletzt ergriff Thaddä das Glas und rief:
     
    »Unser Herr Lehrer soll leben,
    Und sein' Hedwig daneben!«
     
    Hoch! und abermals Hoch ertönte, es wollte fast gar nicht enden.
    Mit Hedwig lebte der Lehrer im innigsten Verständnisse; sie leistete seinen Bildungsbestrebungen willig Folge, da er es nicht mehr darauf abgesehen hatte, ihre Natur umzumodeln, sondern nur sie frei zu entwickeln. Anfangs erging es dem Lehrer bei Hedwig sonderbar. Wenn er ihre Seele auf allgemeine Gedanken und Ansichten hinlenken wollte, machte er bei Allem große Vorreden und Einleitungen; er sagte: so und so meine er es und sie solle ihn recht verstehen. Da sagte einst Hedwig: »Hör' mal, wenn du mir was zu denken gibst oder sonst 'was anbringen willst, sag's doch grad 'raus, mach' kein so Schmierale drum 'rum, ich will dir nachher schon sagen, ob ich's versteh' oder ob ich's nicht mag.« Der Lehrer that dieses letzte Bruchstück seines vereinsamten, bloß innerlichen Lebens ab und lebte froh und gemeinsam mit Hedwig.
    Selbst auf die Schule verbreitete sich bald der neu erwachte Geist des Lehrers. Er knüpfte seine Erzählungen und Beispiele geschickt an die nächste Umgebung an; emsig sammelte er an einer Geschichte des Dorfes, um sie künftig zum Anknüpfungspunkt und zur Veranschaulichung der Geschichte des Vaterlandes zu benutzen.
    Manche kluge Leute wollen zwar behaupten, der Eifer des Lehrers werde bald erlahmen, wir aber dürfen vertrauensvoll das Beste hoffen.
    Der Frühling nahte, die Glocken wanderten nach Rom um dort die Geschichte des Dorfes zu berichten, es ist gewiß, daß sie von dem vergangenen Winter weniger Sünden zu berichten hatten.
    Ostern war vorüber und nun war der Tag der Hochzeit da, er war auf den Jahrestag festgesetzt, an welchem der Lehrer zuerst in das Dorf gekommen war. Am Vorabende ging Hedwig zu dem alten Lehrer und bat ihn, morgen auch ein recht schönes Vorspiel zu machen, da er die Orgel in der Kirche zu spielen hatte. Der alte Mann lachte in sich hinein und sagte:
    »Ja, du wirst dich freuen.«
    Am andern Tag ging es mit Musik zur Kirche. Hedwig gleichgeschmückt mit ihrer Gespiele, der Agnes, der Lehrer ebenso mit einem Strauße geziert, wie sein

Weitere Kostenlose Bücher