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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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thäte und nicht sündigte. Er zeigte, wie erquickend es ist, uns das tröstliche Bild des reinen Menschen ohne alle Sünd' und Fehle zu vergegenwärtigen, der uns vorschwebt, um alle Schuld zu tilgen, indem er uns anleitet, ihm nachzufolgen. Er zeigte, wie darum Jeder, der in irgend einer Weise sich von Sünde rein fühle, in dieser theilweisen Reinheit die Verpflichtung habe, der Erlöser des Andern, des in Sünde Versunkenen zu werden. Er muß dessen Fehl auf sich nehmen und zu sühnen trachten.
    »Ihr Alle,« sprach er dann, »ihr Alle, die ihr in Freiheit wandelt, die ihr an euerm Tische sitzt und ungehindert hinausschreitet unter Gottes freien Himmel – gedenket einen Augenblick des armen Eingekerkerten, auf dessen Antlitz seit Jahren kein Blick der Liebe geruht. Da sitzt er, und sein Auge starrt hin nach den steinernen Mauern, seine Worte prallen ungehört zurück. Und wenn er hinausgeführt wird unter seine Genossen, welch eine traurige Gesellschaft!
    Die große menschliche Gesellschaft hat ihn einsam seiner Noth, seiner Verzweiflung, seinem Irrthum überlassen; keine hülfreiche Hand bot sich ihm dar, kein liebreiches Wort beschwichtigte seine Seele. Er stand vielleicht allein, allein mit seinem verworrenen Herzen. Erst als er der offenkundigen Sünde verfiel, erst da merkte er's, daß er nicht allein sei; die menschliche Gesellschaft faßte ihn mit gewaltigen Armen und hielt ihn zur Sühne fest.
    Und wenn er nun wieder zurückkehrt unter die freien Menschen, was ist sein Loos? Die früher keinen Blick auf ihn richteten, sehen jetzt mit Verachtung, mit Mißtrauen oder unthätigem Mitleid auf ihn herab und verfolgen ihn auf Schritt und Tritt. Was soll aus ihm werden?
    Du, der du hier in Freiheit sitzest, frage dich: wie oft du nahe daran warst, ein Verbrecher zu werden, wie nur die höhere Macht, die in dich gepflanzt ist und über dich herrscht, dir die Werkzeuge des Verderbens entzog und aus der Hand nahm. Darum hab' Mitleid mit dem Sünder, leide mit ihm, opfere dich für ihn, und es wird dir vergeben.«
    Dies und noch vieles Andere sprach der Pfarrer mit tiefer Erschütterung. Er wagte einen gefährlichen, aber zur lebendigen Eindringlichkeit doch oft nothwendigen Versuch und stellte sich selbst mitten in die Betrachtung, indem er erzählte:
    »Ich wurde als armer Schüler eines Mittags im Hause eines Reichen gespeist. Sonst litt ich die bitterste Noth. Da stand ich nun allein im Speisezimmer und wartete bis zur Essenszeit. Um mich her glitzerte und schimmerte das Silbergeräth, es flimmerte mir vor den Augen, wie wenn ich berauscht wäre. Plötzlich blitzt mir der Gedanke durch die Seele: nur einige solcher Stücke können deiner Noth auf lange abhelfen, und – Niemand sieht dich. Ein unwiderstehlicher Reiz zog mich zum Korbe hin, wo das Silber aufgeschichtet lag; ich griff hinein, wie wenn jemand meine Hand hineinstieße. Da war mir's aber plötzlich, als könnte ich meine Hand nicht bewegen, ich konnte nicht lassen und nicht nehmen. Der Angstschweiß rann mir von der Stirn, und ich schrie laut: Hülfe. Hülfe! Ich wollte Menschen herbeirufen, um durch sie von der Sünde abgezogen zu werden. Ein alter Diener eilte herzu, und ich erzählte ihm weinend Alles. Er tröstete mich in meiner unbeschreiblichen Pein und hat in der Folge selbst und durch Andere dafür gesorgt, daß ich keine Noth mehr litt.«
    Die Bemerkungen, die der Pfarrer hieran knüpfte, und die Aufforderung, daß jeder in gleicher Weise die Versuchungen seines Lebens sich vergegenwärtige, gingen unmittelbar an's Herz. Bei der längern Pause, die er jetzt machte, sah er manche gefaltete Hände zittern, Manchen hinter dem vorgehaltenen Hute sein Antlitz bergen, manche Hand eine Thräne aus den Augen wischen, die dann wieder leichter aufschauten. Keiner aber blickte auf den Andern, Jeder hatte genug mit sich zu thun.
    Nach dem Schlußgebet erzählte der Pfarrer in schlichtem Tone: »Es hat sich in der Hauptstadt ein Verein von wohldenkenden Männern gebildet, der sich die Aufgabe stellt, für das Fortkommen und die Besserung Derer zu sorgen, die aus den Straf- und Arbeitshäusern entlassen werden. Das ist ein heiliges und gottgefälliges Werk. Wer beitreten und mitwirken will, kann nach der Mittagskirche zu mir kommen und das Nähere erfahren. Besonders aber möchte ich euch bitten, daß Einer oder der Andere von Euch solch einen Entlassenen als Knecht oder Magd zu sich in's Haus nehme. Ich brauche euch nicht zu ermahnen, daß ihr die

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