Schwarzwaelder Dorfgeschichten
Leben aufgedrückt und nie zu tilgen war, weder aus seinem Gedächtnisse, noch aus dem der Menschen.
Er stand wieder einmal oben auf dem Berge und sah den abgeknickten Ast an der Eiche, der jetzt verdorrt war. Im Innern Jakobs sprach es: »Wie viel Jahre braucht so ein Ast, um zu wachsen, und ein einziger Sturmwind, ein einziger Axthieb knackt ihn in einem Augenblick ab ... Was thut's? Wenn nur der Stamm gesund bleibt, der Saft strömt der Krone zu.«
Eine unwandelbare Zuversicht lebte in Jakob. Er trauerte wol noch oft, es waren die Nachschauer eines langen Gewitters; die Sonne stand schon hoch und hell am Himmel.
Einen Schmerz aber konnte Jakob nicht verwinden, ohne ihn Magdalene mitzutheilen. Er fragte sie nach ihrem Vater, sie wußte nichts von ihm.
»Guck,« sagte er dann, »es ist jetzt kein' Red' mehr davon, daß wir von einander lassen; aber tief thut mir's weh, daß wir so allein stehen, gar keine Familie haben. Ich hab' mir früher als dacht, wenn ich einmal heirath', da möcht' ich in eine große Familie hinein. So ein alter Schwiegervater und eine dicke Schwiegermutter, und recht viel Schwäger und Schwägerinnen, und Vaters Brüder und Schwestern, und so Alles, das muß prächtig sein. Und wenn's auch arme Leut' sind, die Einem nicht aufhelfen können und Einem auf dem Hals liegen, man hat doch recht viel' Menschen, die Einem angehören und Einem doch beistehen können in allen Sachen. So ohne Familie ist man wie ein Baum auf einem Berg, der steht allein und verlassen; wenn ein Wind kommt, packt er ihn von allen Seiten und läßt ihm lang' keine Ruh. In einer Familie aber ist man wie in einem Wald; kommt auch ein Sturm, so hält man's miteinander aus, und man hält zusammen. Was meinst du dazu? Hab' ich Recht?«
»Freilich,« seufzte Magdalene, »aber alle Menschen sind ja verwandt miteinander, wenn man's auch nicht so heißt, und ... und ... ich weiß nicht, wie ich's sagen soll: die rechte Lieb' ist doch, die man zu Leut' hat, die nicht verwandt heißen; das ist viel mehr. Und glaub' mir, ich hab' mein Lebtag die Gutthaten der Menschen genossen; es gibt Viele, die noch Alle gern haben, mehr als Verwandte; denk nur an den Schullehrer und an den Doktor Heister und an Alle, die so sind, und das ist unser' Familie, und die ist groß.«
Eine Nacht im Freien.
Es geht ein tiefes Wehe durch das Herz der Menschheit, daß es erzittert in namenlosen Schauern. Es ist kein Mensch auf Erden, der das Heiligthum seines Wesens rein und frei und ganz hinwegtrüge über diese kurze Spanne Zeit. Abfall und Schmerz ist sein Loos, und aus ihnen steigt er auf, ringt nach Wiedervereinigung, nach seligem Leben. Das Menschenthum wird aus Schmerzen geboren. Muß das sein? Sollen wir nicht auf den lichten Höhen der Freude und des Einklangs eingehen in die Ewigkeit, als ganze, volle, reine Menschen? Die Flammen der Liebe und der Begeisterung! Sie haben Genien gezeugt und Ungeheuer. Wir Alle, die wir hier sind und waren, wir sind schon hinabgestiegen zur Hölle in der Tiefe unserer Brust, und wohl uns, wenn wir wieder erstanden sind zum freien, heitern Licht; aber mitten im Anschauen des Lichts hüpfen noch oft schwarze, nächtige Schlangen vor unserem Auge – wir können nicht fassen das volle Licht.
Da sitzt ein einfältiger Knecht und auf ihn hat sich die ganze Schwere des Menschenthums gelagert.
Der Himmelsbogen spannt sich so glänzend über die weite, reiche Erde, ihr Saft nährt von Geschlecht zu Geschlecht, und da und dort in allen Winkeln sitzen die Menschen und trauern, und ihre Brust hebt ungestillte Sehnsucht.
Sehen wir, wie es Jakob ergeht.
Er sitzt auf dem Stein vor dem Stalle. Er, der sonst so Ruhelose, kann jetzt oft Stunden lang hinsitzen und nichts thun und nichts reden; aber es ist nicht mehr die alte Schwermuth, die träg und eintönig seine Seele erfüllte: Alles hüpft in ihm vor Freude und er sitzt still, wie magnetisch festgebannt und läßt es in sich walten wie eine stille Musik. Er ist glücklich. Er hat sich selber wieder, indem er ein Anderes Herz gefunden, er lebt in sich vergnügt, denn er lebt für ein Anderes.
Es ist Samstag Abend. Der Sommer ist heiß, das ist ein Jahr in dem die Schlehen reif werden. Auf dem ganzen Dorfe liegt's wie der heiße Athem eines Ermüdeten. Die Sonne stieg purpurn hinab und schaute noch einmal in die glührothen Angesichter der Menschen; es war als ob auch sie, müde nach sechs Tagewerken, sich des kommenden Tages freue, da sie allein draußen über
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