Schwarzwaelder Dorfgeschichten
seine Rede.
Natürlich ward ihm selten ein so heftiger Zornesausbruch darüber kundgegeben, als er erwarten mußte.
»Freilich, hab's auch gehört, es ist schändlich, aber du kannst die Leut' reden lassen,« so lautete in der Regel die Antwort.
Er rief manchmal zornig aus: »Du hättest dem in's Gesicht schlagen sollen, der so was über mich gesagt, und der Geschlagene wieder dem, der's ihm gesagt hat, und so wären wir zuletzt hinunter zu dem Maulwurf gekommen, der den Haufen aufwirft, und den hätt' man maustodt gemacht.«
So erhaben sich auch Luzian über all' die Nachreden fühlte, so hatte er doch eine peinliche Empfindung darüber; ihm war's als ob das innerste Heiligthum seines Lebens von ungeweihten Händen berührt worden wäre. So muß es frommen Gläubigen zu Muthe sein, die ihr wundertäthiges Heiligthum aus den Händen ungläubiger Räuber unversehrt wieder erringen. Ein Gefühl der Trauer verläßt sie nicht, daß man so freventlich damit umgegangen.
Wie die Speise, die sich in unser leibliches Leben verwandelt, so geht es auch leicht mit allen Erlebnissen, die wir in einer Zeit gewinnen, in der wir von einem einzigen Gedanken beherrscht sind; sie verwandeln sich unversehens in einen Theil dieses Denklebens, so fremd und beziehungslos sie auch anfangs erscheinen mochten. Zum Erstenmal ging jetzt Luzian das Gefühl der Ehre in seiner Hoheit auf. Wohl hat sie ihre tiefste Wurzel in der Selbsterhaltung, aber eben dieser Ursprung tritt in ihr geläutert auf. Sich selbst ehren und Alles so thun, daß man dies könne, das schließt die höchste Tugend in sich. Spricht aber die Religion nicht gerade aus, daß wir Alles zur Ehre Gottes thun müssen? Wohl, Alles zur Ehre des unvertilgbaren Heiligthums, das in uns gepflanzt ist. Warum lehrt die Religion immer und vorzugsweise, sich selbst gering achten? »Lernet euch selbst ehren, möchte ich den Menschen zurufen, du bist König und Priester, so du das Heiligthum der Ehre in dir auferbauest und rein erhältst.«
Luzian hatte wieder seine volle Kraft gewonnen, und siegesmuthig schritt er über die gewohnte Welt dahin. Aus dem Bewußtsein heraus lernte er die alte Welt auf's Neue gewinnen und beherrschen.
Ich bin der ich bin.
Der Oberamtmann hatte durch seine Magd, die Tochter Wendels, Luzian auffordern lassen, dieser Tage einmal zum Verhör zu kommen. Er ließ ihn absichtlich nicht durch den Schultheiß entbieten, und diese freundliche Schonung that Luzian im Innersten wohl. Er ging daher andern Tages nach der Stadt. Der Amtmann nahm Luzian aus der Kanzlei mit hinauf in seine Privatwohnung. Dort ließ er Kaffee machen, schenkte Luzian ein und sagte: »So, wenn Sie rauchen wollen, steht's Ihnen frei, wir wollen die Sache leicht abmachen; erzählen Sie mir den Hergang noch einmal und ich will das Protokoll aufsetzen.«
Luzian war anfangs betroffen über diese seltsame Abweichung vom strengen Amtston, er ließ sich's aber auch gern gefallen. Er erzählte nun die Geschichte von der Predigt und seiner Gegenrede.
»Das kommt mir jetzt schon vor, als ob es vor hundert Jahr' geschehen wär',« schloß er.
»In vergangenen Zeiten,« entgegnete der Oberamtmann, »war dies allerdings auch oft der Fall, die Geistlichen mußten sich Widerspruch und Einrede gefallen lassen, aber jetzt freilich paßt das nicht in die Kirchenordnung. Es ist schrecklich, wenn man bedenkt, daß wir unser Lebenlang unsere beste Kraft dazu aufwenden müssen, das Unnatürliche, das unserer Seele aufgekünstelt wurde, herunterzukratzen und am Ende wird's doch nie mehr so rein, und da und dort haftet ein fremdartiger Fleck. Was für andere Menschen müßten aus uns Allen werden, wenn man der Natur ihr freies Wachsthum gönnte. Wie alt sind Sie jetzt, Luzian? Da steht's ja im Protokoll, 51 Jahre. Ist's nicht himmelschreiend, daß wir um so viel Lebensjahre betrogen werden.«
»Ja,« sagte Luzian, »man möcht' oft unserm Herrgott böse werden, daß er die Wirtschaft da so mit ansieht.«
Der Oberamtmann sah dem Redenden staunend in's Gesicht, faßte seine Hand und sagte: »Wie? glaubt Ihr denn noch wirklich an ihn?«
Luzian zuckte und zog unwillkürlich seine Hand zurück, indem er betroffen entgegnete: »Ich versteh' Sie nicht, was meinen Sie? wie?«
Ernst lächelnd entgegnete der Oberamtmann: »Ich meine Gott.«
Luzian sah auf, ob nicht die Decke einfalle, und der Oberamtmann fuhr fort: »Dieses Wort ist nur ein Schall für Etwas, von dem wir Nichts wissen; weil wir so viel
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