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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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und unbeugsam, sondern der Gedanke ist es; alle die Gemüthlichkeiten und anmuthenden Gewöhnungen müssen fallen, wenn sie vor der Schärfe der absoluten Erkenntniß nicht bestehen können.« Dennoch hielt er heute plötzlich an sich. Vorerst erschien es ihm, als ob er unwillkürlich in seine unvolksthümliche Auffassungs- und Anschauungsweise verfallen wäre, die Furcht vor seiner oft gerügten Vornehmigkeit kam dazu; und als jetzt Luzian die Erschütterungen des ganzen Menschen am Grabe aufrief, sollte er den thränenschweren Blick des Redenden auf Abstractionen lenken? Darum erzählte der Amtmann hierauf einen Zug aus seiner Jugendgeschichte, er wollte dadurch deutlicher werden; aber alles dieß erschien im Erzählen und vor Luzian doch fast wie eine entschuldigende Erklärung seines jetzigen Standpunktes.
    Heute zum Erstenmal vergaß Luzian bei einer Anwesenheit in der Oberamtei, die Tochter Wendels, die hier als Magd diente, zu fragen, ob sie nichts heimzubestellen habe. Er erinnerte sich dessen noch auf der Straße vor dem Hause, aber er kehrte doch nicht mehr zurück.
    Mit vormals ungeahntem, gehobenem Gefühle schritt er heimwärts durch den Wald. Seine Wangen glühten, alles Leben regte sich mit Macht in ihm. Es war nichts Bestimmtes, was ihm so mit namenloser Entzückung die Brust hob, es war ein Gefühl der Freudigkeit, daß es ihm oft war, er spränge dahin wie ein junges Reh, während er doch gemessenen Schrittes einherging. Er schaute einmal halbverworren auf, ob er denn nicht wirklich dort vor sich herspringe, wie ein unschuldvolles, jauchzendes Kind.
    Das war eine Stunde, in der sich den Menschen Gesichte aufthun, die sie selber nicht fassen können, wenn sie wieder zur Ruhe gelangt sind.
    Jetzt trat Luzian aus dem dichten Walde in eine Wiesenlichtung, die sogenannte Engelsmatte. Der Abend stand eben mit seinem goldenen Lichte über den Wipfeln der Bäume, die vielfarbigen Blumen und Gräser sogen still den herniedertriefenden Thau ein, und die Heimchen zirpten, wie wenn die Blumen und Gräser selber laut jauchzten über die frische Erquickung. Am jenseitigen Ende der Waldwiese stand ein junges Reh vor einer weißen Birke, die sich zu den dunkeln Tannen gesellt hatte; das Reh äste und schaute oft auf. Luzian blickte an sich hernieder, und in ihm sprach's die wundersamen Worte: »Du bist ein Mensch! Du schweifest hin über diese Welt voll Blumen und Thiere, und du hast Alles, und du hast mehr, du hast dich selbst. Was ist mir geworden aus all meinem Kampfe? Ich hab's errungen, ich bin der ich bin , kein fremdes Wesen mehr, das die Gedanken anderer Menschen hat, frei, treu und wahr in mir. Jetzt kann ich getrost hinziehen über diese Welt. Ich bin der ich bin.«
    Die nächtigen Schatten legten sich über Wald und Wiese, durch die ein Mensch hinschritt, hellflammend und in sich leuchtend ...
    Als Luzian nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau auf der Hausflur: »Heut' mach mir was Gutes zu essen und laß mir einen guten Schoppen Wein holen, mir ist so wohl wie mir noch nie im Leben gewesen ist.«
    Der »weltsmäßige Hunger,« von jenem Sonntage nach der Predigt, hatte sich diesesmal noch gesteigert bei ihm eingestellt.
    Die Frau gab keine Antwort, sie schlug den thränenschweren Blick auf und rang verzweiflungsvoll die Hände.
    Das ist das unerfaßliche, tausendfältige Getriebe des Weltlebens, das macht uns oft den Ausblick in's Gesammte zu einem Wirrsal, daß während ein Mensch hier hoch hinansteigt, dort ein anderer hinabsinkt, während die Pulsschläge eines Herzens sich hier verdoppeln, dort ein anderes still steht. Der Mensch lebt nicht für sich allein, und es ist ihm nicht gegeben, rein aus seinem eigenen Kern sich weiter zu entwickeln.
    Dort am Waldesrande neben der weißen Birke wird das Reh nicht urplötzlicher vom heißen Blei des Jägers getroffen und bricht nicht zuckender zusammen, als Luzian von dem erschüttert wurde, was in der höchsten Freudigkeit seiner Seele sich ihm aufthat.
    »Die Mutter! die Mutter!« klagte die Frau, und als er hineinging in die Kammer, wo viele Weiber versammelt waren, sah er bald, wie es um die Ahne stand. Sie hatte geschlummert und erwachte jetzt. Sie hieß mit schwerer Stimme Luzian willkommen, und fragte ihn: ob er denn aus dem fernen Lande schon zurück sei? Dann rief sie ihre Tochter und sagte: »Halt' fest an meinem Luzian, halt' fest wie seine rechte Hand. Du weißt, Margret, wie es mit Eheleuten steht, die nicht ...« ihre Stimme stockte, und nach

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