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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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keine Hölle glaube und auch nicht weiß, wo der Himmel ist. Jetzt lebe ich einmal so, daß wenn es kommt, ich auch nicht davon laufe. O lieber Mann, Sie sind ein guter Mann! Wenn ich's nur machen könnt', daß Sie mit mir glauben, wie eine väterliche Hand, die wir nicht sehen, uns führt. Das thäte Sie doch oft trösten, wo Ihre gescheiten Gedanken zu kurz sind und nicht hinlangen. Guter Mann, ich habe einen Sohn von zweiundzwanzig Jahren und noch zwei kleine Kinder unter dem Boden liegen. Wenn man so ein Grab offen sieht, unser eigen Herz mit hineingelegt wird, da geht Einem eine neue Welt auf.«
    Die Stimme Luzians stockte, er konnte vor innerer Rührung nicht weiter reden. Eine Weile herrschte Grabesstille in der Stube. Ja den beiden Männern kam es selber vor, als wären sie außerhalb dieser Welt in ein Jenseits versetzt.
    Der Oberamtmann versuchte es nicht mehr, seinen eigenen Denkproceß in Luzian anzufachen, er empfand eine gewisse heilige Scheu, diese innige Gläubigkeit anzutasten: »und« setzte er still für sich hinzu, »nur diese vermochte es vielleicht, den Kampf mit dem Pfaffenthum aufzunehmen.«
    Traut, wie zwei Freunde, die sich mit ihrer Standes- und Familiensonderung außerhalb der Welt befinden, besprachen die Beiden sich noch mit einander, und als der Oberamtmann darauf kam, daß einzig in Amerika die wahre Religionsfreiheit herrsche, indem es dort gestattet ist, zu keiner Kirche zu gehören, oder sich eine beliebige neue zu gestalten, da wurde das Auge Luzians größer; wie von unfaßbarer Stimme wurden ihm jetzt die Worte seiner Frau zugerufen: »Wenn wir nur fort wären aus dem Ort« – aber er konnte den Gedanken doch noch nicht fassen.
    Luzian öffnete sein ganzes Herz und erzählte, welche namenlose Pein er überstanden habe, indem er sich vom alten Herkommen frei machte.
    »Ich möchte lieber ein ganzes Jahr Tag und Nacht im Zuchthaus sitzen und Woll' spinnen, als das noch einmal durchmachen,« schloß er.
    »Allerdings hatte ich da ein viel glücklicheres Loos,« erzählte der Oberamtmann, »mein Vater war ein vollkommen freisinniger Mann, der ohne allen Zusammenhang mit der Kirche lebte. Wenn eines von uns Kindern einen Fehltritt beging, faßte er es beinahe mit doppelter Liebe, und nahm es mit sich auf seine Arbeitsstube; dort suchte er uns zur Einsicht des Fehlers zu bringen, und wir mußten darauf eine Stunde ruhig bei ihm verweilen. Ich verließ die Stube nie ohne tiefe Erschütterung. – Meine Mutter war katholisch und ging regelmäßig nach der Kirche, ich hörte oft davon reden, war aber noch nie dort gewesen. Ich erinnere mich ganz deutlich des ersten Eindruckes, den ich davon erhielt, ich war damals sechs Jahr alt. Eines Sommermorgens, wir wohnten in einem Garten vor dem Thor, lag ich mit meiner zwei Jahre älteren Schwester im Grase, und wir schauten Beide hinauf in den blauen Himmel, an dem auch nicht ein einzig Wölkchen war. Wir hatten gehört, daß die Sterne beständig am Himmel stehen, auch am Tag, wir wollten sie nun sehen. Ich wurde gerufen, ich durfte mit meiner Mutter zur Kirche gehen, ich war voll Seligkeit und brennenden Verlangens. In der Kirche aber befiel mich plötzlich ein unnennbares Heimweh, eine drückende Angst, ein Bangen nach einem Stück meines blauen Himmels; diese dicken Mauern, diese Lichter am Tage, die Orgel, der Weihrauch, die steinerne Kühle, Alles machte mich fast weinen, und ich war wie in der Gefangenschaft zusammengepreßt. Ich lebte erst wieder auf, als ich im Freien war und meinen blauen Himmel sah. Von jenen Kindestagen an hatte ich nie mehr ein Verlangen nach der Kirche; die väterliche Erziehung und eigene Forschung stellten mich so, daß ich kaum Etwas abzustreifen hatte.«
    Luzian horchte betroffen auf, er schaute hier in eine Lebensentfaltung, von der er keine Ahnung gehabt hatte, von der er nie gedacht, daß sie in der Welt bereits vorkäme.
    Mit der heimlich stillen Erquickung, die wir immer empfinden, wenn ein ganzes Herz sich erschlossen, schieden die beiden Männer von einander. Luzian hatte dabei noch die Empfindung, daß er dem Oberamtmann, der doch ein so hochstudirter und angesehener Mann war, einen heiligen Funken in's Herz gelegt habe. Der Oberamtmann aber hielt an sich. Wie er die Unbarmherzigkeit der reinen Consequenz in sich walten ließ, so machte er diese auch unbedingt gegen andere Menschen geltend; dadurch erschien er vielfach schroff und schonungslos. Er wußte das, und sagte dagegen oft: »Nicht ich bin hart

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