Schwarzwaelder Dorfgeschichten
Art, wie sie über die Zuckerin sprachen. Sie hatte wenig gute Freunde im Dorfe, sie war eine Fremde und man war ihr neidisch, und überhaupt ist die Krämerin immer eine widerwillig betrachtete Persönlichkeit, weil ihr der Bauer das besonders hochgeschätzte baare Geld geben muß und weil sie allerlei Heimlichkeiten der Bauerfrauen Vorschub leistet. Jetzt schien plötzlich ihr Ruf ein ganz anderer geworden. Manche verkündeten laut ihr Lob und Andere nickten nur still aber vieldeutig dazu. Man konnte ja nicht wissen, in welche Familie die Zuckerin nun bald gehören würde. Eine ihrer Eigenschaften aber wurde mit allgemeinem Lobpreis hervorgehoben, und das war der Acker von anderthalb Morgen, den sie besaß, draußen am Bergesabhang, neben dem Kirchhof, an der Straße nach Deimerstetten. Man ermahnte den Pflugwirth, er solle sich diesen Acker von der Wittwe zu erwerben suchen, der sei grade für ihn gelegen, denn er liebte besonders die Aecker an der Straße; aber er lehnte es ab und sagte spöttisch, der Acker gehöre ja schon einem aus Deimerstetten Gebürtigen. Als man ihn hierauf neckte, er möge den Schackle mit der Zuckerin verheirathen, dann habe er den Acker und brauche keinen neuen Kaufladen einzurichten, sagte er mit schelmischer Gemütlichkeit, er wolle einem guten Freund nicht in den Weg stehen.
Xaveri war still, aber in ihm kochte die Wut, als ihm der Pflugwirth mit zuthulicher Freundlichkeit anrieth, sich auch um die Zuckerin zu bewerben. So hatte er sich zweimal von dem abgeriebenen Schelm betrügen lassen! Dennoch that er wiederum, als ob nichts geschehen wäre, und Tage lang saß er in der Wirthsstube zum Pflug und starrte hin auf die große Tafel an der Wand, darauf ein Schiff auf der See schwamm und mit großen, rothen Buchstaben geschrieben war: Nach Amerika. Der Entschluß schien ihm schwer zu werden; endlich aber eines Sonntags, als fast das ganze Dorf in der Wirthsstube versammelt war, verkündete er, daß er auch auswandere. Einige sagten, daß er daran Recht thäte, und sie hätten das schon lange erwartet, solch ein halbes Leben schicke sich nicht für ihn; Andere dagegen bedauerten seinen Weggang und wieder Andere bezweifelten, daß es ihm Ernst sei.
»Ihr kennt mich dafür, daß das, was ich gesagt habe, auch ausgeführt wird!« schrie Xaveri, und seine alte Trotzigkeit lebte wieder in ihm auf. Das Wort war heraus, er wußte nun, was er wollte, und war nicht mehr von Zweifeln geplagt. Dennoch willfahrte er beim Nachhausekommen seiner Mutter, die von Anderen bereits seinen Entschluß gehört hatte, nicht zu schnell damit zu sein und die Sache noch hinzuhalten, vielleicht fände sich doch noch der rechte »Anstand,« daß er im Lande bleibe. Wochenlang ging er nun im Dorf umher und mußte still sein, denn er wußte Nichts zu antworten, wenn ihn die Leute immerdar fragten: »Bis wann geht's fort?« Er hatte auch im Stillen gehofft, daß der Pflugwirth noch andern Sinnes werde und ihn nicht ziehen lasse, aber dieser hatte sich bereits einen wirklichen Knecht gedingt und Xaveri sah, daß all seine Hoffnung vergebens sei.
Hatte Xaveri bisher die junge Welt im Dorfe beherrscht, so schien es nun, daß er auch mit seinem Weggange eine gewaltige und beispielgebende Macht ausüben sollte. Unter dem ledigen Volke im Dorfe zeigte sich eine ungeahnte und jetzt zum Schrecken Vieler hervortretende Auswanderungslust. In dem Auswanderungstriebe war eine neue Entwicklungsstufe von unberechenbaren Folgen eingetreten. Bisher war man es nur gewohnt, ganze Familien auswandern zu sehen, und mußte man mitunter auch manchen Wohlhabenden scheiden sehen, der Riß unter den Zurückbleibenden war darum doch kein so auffälliger; es schieden Menschen, die sich von ihren Blutsverwandten und Angehörigen schon losgelöst hatten zu einer in sich abgeschlossenen Familie, sie waren nur sich verpflichtet und man konnte sie, wenn auch mit Wehmuth, doch ohne Groll scheiden sehen. Die neue Thatsache aber, daß nun auch ledige Leute auswandern wollten, daß eine ganze Schaar von jungen Burschen und Mädchen sich zusammenthat, um in die weite Welt zu ziehen, brachte die Gemüther auf einmal in seltsame Bewegung.
Wie ein lebendiges Nationalgefühl es schmerzlich empfinden sollte, wenn wie in unsern Tagen noch zukunftsreiche Kräfte sich der Gesammtheit entziehen, so empfand man jetzt im Dorfe, was es heißt, wenn junge Bursche, die man groß gezogen und von denen man Etwas erwarten kann, sich mit ihrer Kraft davon machen.
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