Schwarzwaelder Dorfgeschichten
des Himmels und der Erde brächte ihn davon ab. –
Ein unbeugsamer Trotz gegen die ganze Welt, der sich leicht in Selbstzerstörung verwandelt, setzte sich in Xaveri fest. Mitten in der hohen Erntezeit, wo im Dorfe so zu sagen jeder Finger, der sich regen kann, in Arbeit ist, saß Xaveri draußen am Waldrand und blies auf seinem Waldhorn. Durch dies Benehmen ward Xaveri des ganzen Vortheils und des ihm allgemein zuerkannten Rechts gegen seine Frau verlustig. Solch ein Müßiggang war unerhört und empörend. Man hielt Xaveri anfangs für närrisch, dann aber wendete sich Haß und Verachtung des ganzen Dorfes gegen ihn. Selbst Trudpert ließ seinen Bruder in heftigen Worten an; ja er drohte, der Mutter von der ausbedungenen Nahrung abzuziehen, wenn sie den Xaveri noch länger damit füttere; er wolle die Sache vor Gericht kommen lassen. Mit lang verhaltenem Ingrimm erwiderte Xaveri, daß ihm das Recht sei, und er werde sich jetzt bei dem Gericht ausweisen, wie er durch Trudpert in der Erbtheilung zu kurz gekommen sei.
In der That versuchte auch Xaveri einen Rechtsstreit darüber anhängig zu machen, ging oft nach der Stadt, besprach seine Angelegenheit im Wirthshaus mit allerlei fremden Menschen und erholte sich Raths bei einem Rechtsanwalt, der indeß immer mehr eigentliche Belege von ihm verlangte. Xaveri redete sich vor, daß er diese beschaffen könne.
Es giebt für einen in sich uneinigen und müßiggängerischen Menschen nichts Bequemeres als einen Rechtsstreit. Da hat man immer die Ausrede bei der Hand: wenn erst diese Sache geschlichtet ist, dann geht wieder Alles in Ordnung, und einstweilen entschuldigt man für sich die Nichtsthuerei. So erging es auch Xaveri, und ein geheimer Stolz kam noch dazu. Er konnte sich nicht läugnen, daß in seinem ganzen Thun und Lassen etwas Unmännliches sei. Er mußte, sich oft im Stillen gestehen, daß er eigentlich keine rechte Mannesgeltung habe. Jetzt in den Wirthshäusern in der Stadt, im Vorzimmer bei dem Rechtsanwalt und im innern Stübchen bei diesem selber, jetzt war er doch ein Mann. Wer kann das noch bestreiten, daß einer der einen Rechtsstreit führt, Protokolle und Abschriften ausfertigen läßt, worin sein Name groß geschrieben ist in Fractur, und der mit landesfarbigen Schnuren zusammengeheftete Acten ausfüllt – wer kann bestreiten, daß das ein Mann sein muß, der solches veranlaßt?
Indeß zeigte sich bald, daß der Rechtsstreit zu keinem Ziel führe, und Xaveri ließ ihn ebenso leicht als er ihn aufgenommen, auf Anrathen seines Rechtsanwaltes wieder fallen. Trudpert und Xaveri redeten fortan kein Wort mehr mit einander, und diesem war von allen Menschen im Dorfe Niemand mehr zugethan als seine Mutter. Sie ging zu Jedermann und redete gut von ihrem Xaveri, sie wollte im Einzelnen ihm wiedergewinnen, was er auf Einmal und bei Allen verloren hatte, und sie allein hoffte noch immer, daß Alles sich wieder ausgleiche; aber vergebens. Der Mutter allein erzählte Xaveri, was in ihm vorging, sonst wanderte er durch das Dorf, grüßte Niemand und hielt den Blick immer zur Erde gesenkt, denn er verwünschte es innerlich, daß er nicht fort konnte, nicht auf Einmal in eine ganz andere Welt, daß er immer wieder heim mußte um zu essen. Diese natürliche Befriedigung des Lebensbedürfnisses ward ihm zur Qual. Draußen am Waldesrand lag er dann Tage lang und schaute hinaus in die Felder, wo die Menschen hin und her gingen. Sein sonst so scharfes Auge schien jetzt plötzlich die Dinge nicht mehr recht zu unterscheiden. Trotzdem er oft einen Männerhut zwischen den Kornfeldern sich fortbewegen sah, wollte er doch glauben, und glaubte es auch, ja indem er sich halb aufrichtete, war es ihm ganz deutlich – daß er eine Frau sähe und gar seine eigne Frau, die ihm winke, daß sie komme und ihn hole; aber die Gestalt verschwand wieder und er blieb allein. Der graue Meilenstein am Wege, den er doch genau kannte, den hielt er jedesmal beim Aufschauen für einen Menschen, der nach ihm ausblicke. War das Täuschung oder Selbstbetrug? Wer kann in solchem Falle entscheiden? Seltsam war und blieb, daß es jedesmal eintraf, so oft er sich's auch vorhersagte. Hörte er einen Schritt sich seinem Lagerplatze nähern, kam ein Mann, eine Frau oder ein Kind, so blinzelte er und richtete sich ein wenig auf, es war gewiß Jemand, den seine Frau nach ihm schickte; und wenn der Kommende vorüberging ohne ihn zu achten, hustete er, um gewiß zu sein, daß er bemerkt und nicht verfehlt
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