Schwarzwaelder Dorfgeschichten
damals die gedrückten Herzen in ganz Europa durchzitterte, jene freudige Ahnung, daß die Zeit der Noth und der Ehrlosigkeit vorüber sei, machte sich damals auf dem Furchenhofe und in der Umgegend in eigenthümlicher Weise geltend. In Wald und Feld, mit Axt und Pflug in der Hand, schaute Jegliches oft plötzlich aus, als müßte ein Wunder kommen, ein neues Erlösungswerk, das auf einmal Alles richte und schlichte.
Es war die Zeit der Zeichen und Wunder, alle Sehnsucht und alle Verheißung, die mehr oder minder klar in den Gemüthern ruhte, sollte ihre Erfüllung finden; die Erlösung war da für die hochstrebenden, die ganze Menschheitentwicklung erfassenden Geister, wie auch für diejenigen, die in beschränkte Gesichtskreise eingeschlossen waren.
Die Hoffnung, daß eine Zeit gekommen sei, in der man seines Schweißes froh werde, bildete sich oft abenteuerlich aus. Oft wenn Einer in verborgener Thalschlucht oder tief im Walde arbeiten mußte, überkam es ihn plötzlich wie ein jäher Schreck, daß er jetzt den Triumphzug versäume, der die Heerstraße dahinzieht und Alles glückselig macht. Die Taglöhner sprachen oft wild durcheinander wegen Vertheilung der Allmend und des Gemeindewaldes, wegen Erhöhung des Tagelohnes und Kürzung der Arbeitszeit, und mancher lang verwundene und halb vergessene Schmerz kam an den Tag. Alban sprach da und dort mit beredtem Munde und hatte einen hülfreichen Beistand an dem verständigen Nagelschmied, der mit seiner Tochter Vreni auf dem Furchenhof als Taglöhner arbeitete. Der Nagelschmied hieß nur noch so, aber er war es nicht mehr. Noch vor wenigen Jahren hatte er im Sommer als Taglöhner auf den benachbarten Höfen gearbeitet und im Winter Nägel geschmiedet, wobei ihm seine Frau und seine Goldfuchsen, wie er seine Kinder mit röthlichbraunem Haare nannte, halfen, und besonders die zweitälteste Tochter Vreni zeigte eine große Kunstfertigkeit. Durch ein Verbot der Regierung wurde ihm dieß Gewerbe untersagt, weil es nach dem Buchstaben des Gesetzes nicht unter die freien Gewerbe gehörte. Vreni hatte das Strohflechten erlernt, und so oft sie zur Feldarbeit ging oder von derselben heimkehrte, sah man sie mit grobem Geflechte beschäftigt; zu dem feineren waren ihre Hände durch die Feldarbeit und die frühere Thätigkeit in der Werkstätte ungeschickt geworden.
Jetzt hoffte der Nagelschmied wieder sein Gewerbe aufnehmen zu dürfen, und Alban versprach, ihm zur Anschaffung des Handwerkszeuges, das er in der Noth verkauft hatte, behülflich zu sein.
Auf dem Furchenhofe wurde allzeit mit doppelter Lebhaftigkeit und unter Lachen und Singen gearbeitet, Jeder war lustig ohne zu wissen warum und ohne weiter darnach zu fragen. Im Frühling, wo gerade die härteste Nothzeit ist, da die Wintervorräthe aufgebraucht sind, vertheilte Alban freiwillig Korn als Vorschuß unter die Taglöhner und der alte Furchenbauer mußte ihm trotz der Widerrede Recht geben; denn andere Großbauern wurden zu Dem gezwungen, was er freiwillig gethan hatte und wofür er nun Dank erhielt.
Alban und der Vater ritten einst zu der großen Versammlung in Wellendingen, die der Candidat für die Stelle eines Reichstags-Abgeordneten anberaumt hatte. Alban war auf dem Heimweg ganz erfüllt von den feurigen Worten, die er vernommen, er hatte zum Erstenmal unter freiem Himmel befreiende Worte gehört und mit eingestimmt in den tausendstimmigen Jubel. Als er auf dem Heimweg sein Herz gegen den Vater ausschüttete und endlich sagte: er müsse dem Volksmann seine Stimme geben, sagte der Vater:
»Ja, das thu' ich auch. Man muß jetzt mitthun.«
»Und ich mit,« rief Alban.
»Ja so,« fuhr der Vater fort, »du stimmst ja auch? Das hab' ich fast vergessen. Freilich es ist ja jetzt Alles gleich, Vater und Kind und wer was hat und wer nichts hat; es ist All eins. Ich bin froh, daß ich tief in den Sechzig bin, das ist kein' Welt für mich; die Bettelleut dürfen nicht mitreden, der Nagelschmied darf nicht mitstimmen wie ich.«
Alban schwieg, er traute sich's nicht zu, seinen Vater zu anderer Ueberzeugung zu bringen; auch war er an die natürliche und altherkömmliche Oberherrlichkeit des Vaters gewöhnt und wagte es nicht ihm geradezu zu widersprechen.
Man würde indeß dem Furchenbauer schwer Unrecht thun, wenn man einen gewissen Freimuth desselben in Zweifel zöge.
Der Bauer auf Einzechten – wie man die weit auseinanderliegenden geschlossenen Güter nennt – ist ein ganz anderer, als der in den Dörfern lebt.
Weitere Kostenlose Bücher