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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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unter dem Kinn mit beiden Händen, als ob er einen Knothen schlinge, dann fuhr er nach beiden Seiten aus und streckte die Zunge heraus. Er wollte, wie leicht erkenntlich, damit sagen: der wird noch gehenkt.
    Natürlich sparten die Leute diese Frage nicht sehr, und es war immer ein besonderes Hallo, wenn man den Koanradle zu seiner feststehenden Antwort brachte.
    Auch sonst schürten die Leute den Haß der Brüder, nicht gerade immer aus Bosheit, sondern weil es ihnen Spaß machte. Der Michel aber zuckte nur verächtlich die Achseln, wenn man von dem »armen Schelm« sprach.
    Nie blieben die Brüder in einer Stube; wenn sie sich in dem Wirthshause oder bei ihrer Schwester trafen, ging immer einer von ihnen fort.
    Niemand dachte mehr daran, sie zu versöhnen, und wenn zwei Leute in Feindschaft mit einander waren, hieß es sprichwörtlich: »Die leben wie der Michel und der Koanradle.«
    Zu Hause redeten die beiden kein Wort, wenn sie sich begegneten, ja sie sahen sich nicht einmal an. Dennoch, wenn einer merkte, daß der andere unwohl im Bette lag, ging er den weiten Weg zu der Schwester, die in der Froschgasse wohnte, und sagte: »Gang 'nuf, i glaub', es ischt ihm et reacht«; und dann arbeitete ein jeder von den Brüdern gewiß leise und ohne Geräusch, um den andern nicht zu stören.
    Außer dem Hause aber und unter den Leuten lebten sie in gleichmäßiger Feindschaft, und niemand dachte daran, daß noch ein Funke Liebe in ihnen sei.
    Das dauerte nun in das vierzehnte Jahr. Dem Michel war unter dem vielen Hin- und Herhandeln das Geld von seinen verkauften zwei Aeckern durch die Finger gefallen, er wußte nicht, wie; der Koanradle aber hatte sich von einem Auswanderer noch einen neuen Acker gekauft und fast ganz bezahlt. Der Michel gab sich nun meist damit ab, anderen Leuten beim Handel behilflich zu sein, und er dachte daran, durch den Verkauf eines neuen Ackers sich wieder flott und selbsthandelnd zu machen.
    »Und es kam ein neuer König in Aegypten,« diesen Vers im zweiten Buch Moses, Kap. 1, V. 8, konnten die Leute im Dorf auf eine eigene Weise auf sich anwenden. Der alte Pfarrer war gestorben; er war ein guter Mann, aber er ließ Alles gehen, wie es ging. Der neue Pfarrer, der in das Dorf gekommen war, war ein eifriger junger Mann; er wollte Alles in Ordnung bringen, und er brachte auch Vieles zu Stande, bis er endlich in ein offenbares Verhältniß zu dem Schäpflewirths Lisle kam, worauf er sich eben auch nicht mehr in die Privatangelegenheiten der Leute mischte, denn man konnte sagen: kehr' du vor deiner Thür! Jetzt aber war noch Alles im frischen Schwunge.
    Es war an einem Sonntage nach der Mittagskirche, da saßen die Leute bei einander auf dem Bauholz für das neue Feuerspritzenhaus neben dem Rathhausbrunnen; auch der Michel war darunter, er saß gebückt da und kaute spielend an einem Strohhalm. Da ging der Peter, der fünfjährige Bub des Schackerle's Hannes, vorbei. Einer rief das Kind herbei und sagte, in die Tasche greifend: »Guck, Peter, du kriegst ein Häufle 1 Nuß, wenn du dem Koanradle nachmachst; wie macht der Koanradle?« Der Bub schüttelte Nein und wollte gehen, denn er war gescheit und fürchtete den anwesenden Michel, aber er wurde festgehalten und fast gezwungen, und endlich machte er das Knothenschlingen, das Ausziehen und das Zungenausstrecken; es war ein Gelächter, daß man's durch das halbe Dorf hörte. Als nun der Bub die Nüsse wollte, zeigte sich's, daß der Versprecher keine hatte, und neues Gelächter entstand, als der Knabe mit den Füßen nach dem Betrüger ausschlug.
    Der neue Pfarrer war indes den kleinen Hügel am Rathhause herahgekommen; er war stehen geblieben und hatte dem ganzen Handel zugesehen. Als nun der Knabe für seine dringende Forderung noch geprügelt werden sollte, da trat der Pfarrer schnell herzu und riß das Kind weg; alle Bauern standen schnell auf und rissen die Mützen vom Kopfe. Der Pfarrer nahm den Heiligenpfleger, der mit darunter gewesen war, mit durch das Dorf und ließ sich Alles von ihm erzählen. Er erfuhr nun die Feindschaft der Brüder und Alles, was wir bisher erfahren.
    Am Samstag darauf wurde der Koanradle, als er mitten im Dorfe Steine schlug, auf morgen früh nach der Kirche zum Pfarrer vorgeladen. Er glotzte verwundert drein, die Pfeife ging ihm aus, und fast zwei Sekunden lang blieb der Stein unter seinem mit einem Brette besohlten Fuße unzerspalten, er konnte sich gar nicht denken, was es im Pfarrhause gebe; er wäre lieber gern

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