Schwarzwaldau
Arzt und der Justizrath, bei welchem sich der Antrieb seines Berufes mit Theilnahme für die Erbleichende gesellte. » Wer ist es?«
»Gustav von Thalwiese, mein Bräutigam!« und sie sank bewußtlos bei der Leiche nieder.
Siebenundzwanzigstes Capitel.
In einem, jetzt schon längst verschollenen Gasthause zweiten, vielleicht dritten Ranges auf dem Valentinskamp, nahe beim Gänsemarkt, zu Hamburg, hatten zwei Herren das größte, dreifensterige, die ganze Front des schmalen Gebäudes einnehmende Fremdenzimmer bezogen, welche mit Extrapost aus Meklenburg angelangt waren. Ihre Reisepässe, von vielem Gebrauche fast vernützt, seit Monaten nicht mehr visirt und abgelaufen, hätten streng genommen keine Giltigkeit mehr gehabt. Doch wem fiel es bei, in tiefen Friedenszeiten gegen Extrapostreisende strenge zu sein? Und gar in einer freien Stadt, wo unausgesetzter Verkehr zu Lande wie zu Schiffe wechselt und von deren Hafen aus schon viele Bedrängte glücklich entkommen sind? Aber bedrängt wurden diese Beide durchaus nicht. Kein Verdacht drohte, keine Requisition verfolgte, kein Steckbrief bezeichnete sie. Nachforschungen, zwei angeblich aus dem Elsaß stammenden Handelsleuten ›Schwarz und Müller‹ (offenbar fingirte Allerweltsnamen!) geltend, hatten sich zwar durch verschiedene Postämter hin und her verzettelt und verliefen sich endlich auch bis Hamburg. Doch von diesen verdächtigten Individuen wußte kein Mensch auf dem ganzen Valentinskamp das Geringste; die zwei Herren, welche das beste Zimmer der Bel-Etage inne hatten, hießen: ›Emil von Schwarzwaldau, Gutsbesitzer, und Franz Sara, Secretair.‹ Ein Paar angenehme, umgängliche Genossen am Mittagstische des Hôtel de Saxe. Aus dem Zwecke ihres Aufenthaltes in der Seestadt machten sie durchaus kein Geheimniß: sie warteten nur noch einige Briefe und Sendungen aus der Heimath ab, um sich dann zu trennen. Der Secretair um sich einzuschiffen und ein neues Glück in der neuen Welt zu suchen, wohin schon von Kindheit an der Sinn des unternehmenden, thatlustigen Menschen getrachtet; der Gutsbesitzer, um auf sein Besitzthum heimzukehren, sobald der bisherige Schützling, den er ausstattete, flott geworden wäre. Dabei zeigten sie sich so innig vertraut und so fest verbunden; der nahebevorstehende Abschied schien Beiden so schwer zu fallen, daß man sie im Voraus herzlich bemitleidete und daß einige Tischgäste sich untereinander befragten, warum zwei Freunde, die sich so unentbehrlich geworden, sich doch solchen Schmerz auferlegten? Denn in der That, sie ließen nicht von einander, bewachten gegenseitig ihre Schritte und Tritte, waren wie zusammen gewachsen.
Unter den damaligen Besuchern des Hôtels müssen sich keine mit scharfer Beobachtungsgabe versehene Menschenkenner befunden haben; solchen könnte unmöglich entgangen sein, daß es mehr Mißtrauen, als Zuneigung gewesen, welches die Beiden anregte, sich nicht aus den Augen zu lassen; daß die Süßigkeit, die sie im Umgange vor Zeugen zur Schau trugen, viel zu gemacht war, um aufrichtig zu sein. Während es ihnen gelang, über diese Seite ihres erzwungenen Verhältnisses rings umher zu täuschen, begab sich doch etwas, wodurch ein Stammgast des Hauses, ein aus Kopenhagen nach Deutschland übersiedelter Advocat veranlaßt wurde, eines Abends hinter ihnen her zu grinsen: »Wenn ich Criminalbeamteter wäre, die Herren, besonders der Aeltere, könnten mich aufmerksam machen!« – womit der alte schlaue Fuchs, der übrigens selbst in sehr schlechtem Rufe stand, mehr sagen wollte, als er aussprach. Die Sache, die durchaus nicht in unsere Erzählung gehört, sei nur kurz angedeutet, weil sich aus ihr rascherer Fortgang der Geschichte entwickelt.
Eine am Rhein verübte Mordthat machte zu jener Zeit um so allgemeineres Aufsehen, und bot lange Zeit hindurch Stoff zu Discussionen, als sich an einen, auf öffentliche Stimme gestützten, von ihr getragenen Ausspruch des Geschworenengerichtes lebhafte Widersprüche älterer Rechtsgelehrten knüpften, die den dunklen Vorfall benützten, ihre Bedenken wider das Institut der Jury wissenschaftlich zu begründen. Der Verurtheilte ist, wie bekannt, später begnadiget worden, und noch heute, nach so vielen Jahren, dürfte die Meinung darüber getheilt sein, ob er schuldig, ob er unschuldig gewesen?
Es war nach einer Durchsprechung jener Begebenheit, wobei die einzelnen Umstände derselben auf's Genaueste auseinander gesetzt wurden, daß Herr von Schwarzwaldau über
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