Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)
endlich wieder weggehe. Ich kam mir vor wie einer dieser schlechten Straßenmusiker, die dafür bezahlt werden, dass sie aufhören zu spielen. Aber niemand hatte irgendwas gesehen oder gehört, es war zum Verrücktwerden.«
Er schaut auf seine Fingernägel.
»Bis ich diese wirklich alte Dame gefunden habe.«
Er trinkt einen Schluck von seinem Apfelsaft. Der Faller liebt Apfelsaft. Das fand ich schon immer lustig. Seit er keinen Alkohol mehr trinkt, trinkt er eigentlich nur noch Apfelsaft. Wie ein Fünfjähriger.
»Sie hat mir erzählt, dass sie spazieren geht, seit ihr Mann nicht mehr lebt. Sie geht seit sieben Jahren spazieren, sechzehn, achtzehn, zwanzig Stunden am Tag. Nur zum Schlafen ist sie zu Hause, aber sie sagte, sie schläft nicht mehr besonders viel, manchmal schläft sie gar nicht. Sie glaubt, dass sie schneller stirbt, wenn sie aufhört, spazieren zu gehen, und anfängt zu schlafen. Sie ist clever, sie rennt dem Tod davon, hab ich mir gedacht, als sie das sagte. Sie kennt in Wilhelmsburg jeden Grashalm. Und sie hat was gesehen. Zwei Männer, die in der Nacht, als die Tuckers gestorben sind, aus deren Haus gekommen sind. Sie konnte mir eine ganz gute Beschreibung der beiden geben. Und sie hat das Auto gesehen, mit dem die weggefahren sind. Einen alten Ford Taunus. Einen goldenen. Sie ist sich ganz sicher, dass es ein Taunus war. Ihr Mann ist so einen mal gefahren.«
»Nicht schlecht, Faller«, sage ich.
Er schneidet ein Stück von seinem Haifisch ab und steckt es in den Mund. Kaut und kaut und kaut. Ich finde Haifisch ja immer ein bisschen zu trocken, genau wie Thunfisch und Schwertfisch und Stockfisch, aber bitte, wenn der Faller das gerne isst.
»Ich hab mich dann mal ein bisschen auf dem Kiez umgehört«, sagt er. Als wäre nichts dabei.
»Sie haben sich auf dem Kiez umgehört? Sind Sie wahnsinnig geworden?«
Der Faller hat seit Jahren keinen Fuß mehr ins Milieu gesetzt. Seit der bösen Sache damals. Kein Kiez mehr, keine Halbwelt, kein Alkohol. Das alles gab’s nicht mehr für den alten Faller. Deshalb hab ich doch überhaupt erst angefangen, die Ermittlerin zu spielen. Weil er nicht mehr auf den Kiez wollte. Ich war sein verlängerter Arm für St. Pauli, zusammen mit Klatsche und dem Calabretta. Und jetzt sagt er, er hätte sich mal ein bisschen auf dem Kiez umgehört. Einfach so.
»Ich weiß auch nicht«, sagt er. »Mir war so danach. Und plötzlich ging das wieder. Vielleicht der entscheidende Vorteil, wenn man kein Bulle mehr ist. Man kann mit vielem noch mal neu anfangen. Na ja, auf jeden Fall hab ich meine alten Verlötungen da wieder angezapft, und einer hat aufgehorcht, als ich ihm die Typen beschrieben hab, die ich suchte.«
»Wer?«
»Das geht Sie einen Scheißdreck an«, sagt er und grinst.
Der Faller. Aufm Kiez. Ich pack es nicht.
»Auf jeden Fall wusste mein alter Spezi nicht nur, wie die Jungs ungefähr heißen, sondern auch, dass es so ein blöder Spleen von denen ist, sich für ihre Touren alte Autos zu mieten.«
»Und die Typen?«, frage ich. »Was sind das für welche? Kann man die auch mieten?«
»Klar«, sagt der Faller, »klassische Schläger zum Anheuern. Die machen alles, wenn sie dabei genug verdienen.«
»Auch Mord?«
»Das wollte mir jetzt so niemand bestätigen«, sagt er. »Irgendwo hat die Bullenloyalität auch bei den ältesten Freunden ihre Grenzen. Aber ich war am Freitag bei einem Autoverleiher in Hammerbrook, der sich auf Youngtimer spezialisiert hat …«
»Und?«
»Bingo«, sagt der Faller. »Er hatte vorletzte Woche für ein paar Tage seinen alten goldenen Ford Taunus vermietet. An einen Typen namens Collin Westermann. Wir können natürlich gepflegt davon ausgehen, dass das ein falscher Name war.«
»Wie heißen die beiden Typen denn, ungefähr?«, frage ich.
»Caltzo und Rubsch«, sagt der Faller, »so werden die zumindest genannt.«
»Können Sie mit der alten Dame Kontakt aufnehmen?«, frage ich.
»Jederzeit«, sagt der Faller.
»Begleiten Sie sie doch bitte morgen ins Präsidium«, sage ich, »und den Autoverleiher bringen Sie auch gleich mit, wenn Sie das hinkriegen. Wir treffen uns um zehn beim Calabretta und seinen Jungs und versuchen, mit Hilfe des Autoverleihers mal zwei schicke Phantome zu basteln. Wenn die Omi dann sagt, das passt, reicht das für eine Festnahme. Wenn wir die Typen haben, machen wir eine Gegenüberstellung, und fertig ist die Luzie.«
»Ich weiß, wo wir Caltzo und Rubsch finden«, sagt er. »Könnte so
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