Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)
wohl im Moment im Obdachlosenheim. Ich schicke die Herren direkt los«, sagt der Calabretta.
Ich habe ein Dach überm Kopf und ein warmes Bett. Ich kann mir heißen Kaffee kochen, wenn mir danach ist. Ich habe Menschen an meiner Seite. Ich bin doch eigentlich ganz gut aufgehoben.
Manchmal finde ich es richtig unverschämt von mir, dass ich mich immer so heimatlos fühle.
*
Der Faller lehnt an seinem alten Schreibtisch. Kollege Inceman ist offensichtlich nicht da. Auf dem Drehstuhl hinterm Schreibtisch sitzt eine winzig kleine Oma, die sich an ihre Handtasche klammert. Ihre Haare sind zu einem dünnen Knoten gebunden, ihre Brille ist viel zu groß für ihr pusseliges Gesicht. Sie trägt ein helles Kostüm und sieht eigentlich ziemlich gepflegt aus. Nur die Wanderschuhe an ihren Füßen sind völlig verdreckt. Am Fenster hinter der Oma steht ein Typ in einem dunkelgrünen Ledermantel. Seine schütteren braunen Haare sind sauber gescheitelt. Sein Schnurrbart könnte vielleicht mal wieder gestutzt werden. Ganz eindeutig: the one and only Gebrauchtwagenvermieter.
»Moin«, sage ich, und der Faller und der Calabretta grinsen mich unisono an.
»Moin, Moin«, sagt der Faller.
Und der Calabretta sagt: »Ich hol mal Kaffee für alle.«
Als er gerade zur Tür raus ist, sagt die Oma: »Für mich bitte mit Milch und zwei Stück Zucker.«
»Kommissar Calabretta bringt das sicher alles mit«, sage ich und ziehe mich an das zweite, noch freie Fenster hinterm Schreibtisch meines italienischen Kollegen zurück.
Mein ganzer Körper verlangt dermaßen nach einer Zigarette, dass ich fast ohnmächtig werde.
*
»Ja«, sagt die Oma. »Jaja. Das kommt schon hin.«
»Das kommt ziemlich genau hin«, sagt der Automann und streicht sich über den Schnurrbart. Die Kollegen Schulle und Brückner greifen sich schon mal ihre Jacken, ich glaube, die scharren mit den Füßen. Sie sind ohne ihren Zeugen zurück ins Präsidium gekommen. Der war nicht zu gebrauchen, musste noch die Flasche Rum von gestern Abend verdauen. Jetzt wollen sie was machen.
Wir kucken alle auf den Monitor unseres Spezialisten. Zwei Typen kucken uns an. Einer ist eher drahtig, sehnig, mit einer auffällig spitzen Nase. Der andere kommt relativ viereckig daher, mit einer knubbeligen, dicken Nase. Beide tragen klassische Kiezfrisuren. Der Drahtige hat die Seiten ausrasiert und die Deckhaare nach hinten gegelt. Der Viereckige hat die Haare auch nach hinten gegelt, aber sie sind lang und im Nacken zu einem buschigen Zopf gebunden.
»Voilà«, sagt der Faller, »Caltzo und Rubsch.«
Ich halte mich an einer Tasse kaltem Kaffee fest, um nicht an Zigaretten zu denken, und bin wieder mal verwundert, wie gut diese Phantombilder inzwischen sind. Nur Augen, das kriegen die nicht richtig hin. Augen kann man wohl ganz schwer fälschen.
»Denn man los«, sagt der Calabretta und nickt dem Schulle und dem Brückner zu.
Der Faller kuckt auf die Uhr und sagt: »Die Herren könnten jetzt eventuell in der Ritze sein und trainieren. Mein Informant hat mir gesteckt, dass sie da fast jeden Tag über Mittag im Ring auflaufen.«
Der Brückner kuckt mich an. Er kennt meinen Geschmack.
»Ich komme mit«, sage ich. Die Ritze lass ich mir nicht entgehen.
»Wir müssten in einer guten Stunde wieder hier sein«, sagt der Schulle.
»Regeln Sie in der Zwischenzeit alles für eine Gegenüberstellung?«, frage ich den Calabretta. »Falls wir mit Beute nach Hause kommen?«
Er nickt und sagt irgendwas auf Italienisch.
Ich schaue noch mal kurz zum Faller.
»Schon klar, Chastity«, sagt er. »Niemand verlässt den Raum.«
*
Es gibt keinen Ort auf der Welt, der so sehr nach Männern riecht wie der Boxkeller unter der Ritze. Als würde dort alles fünf Mal am Tag mit Testosteron und Schweiß eingesprüht. Wir gehen durch die Hofeinfahrt. Auf die schwarze Tür zu, der Eingang liegt zwischen zwei an die Wand gepinselten gespreizten Frauenbeinen. Ich suche in meinen Manteltaschen nach Zigaretten. Ach so. Habe gar keine dabei. Rauche ja nicht mehr.
Der Brückner geht vor, der Schulle geht direkt hinterher, ich halte ein bisschen Abstand. In solchen Läden muss ich aufpassen. Könnte immer sein, dass Klatsche mit ein paar alten Knastkollegen am Tresen rumsitzt. Ich werfe einen schmalen Blick durch die Kneipe, er ist nicht da. Der Brückner zeigt dem Wirt seinen Dienstausweis, der Wirt nickt, niemand sagt was. Wissen sowieso alle, was hier gleich läuft. Auf dem Kiez riecht man einen Polizei-Einsatz
Weitere Kostenlose Bücher