Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
gekommen war.
Dad würde das niemals gutheißen.
Die Polizei würde ihn für immer einlochen.
Und wenn die Reaper das jemals erfuhren, würden sie ihn umbringen.
6
Caitlyn fuhr die Route 28 entlang, vorbei an Pendlerstädten, die im Neonschein schlummerten, ohne sich um Geschwindigkeitsbeschränkungen oder blinkende Ampelanlagen zu kümmern. Ihr Handy klingelte. Sie stellte auf Lautsprecher um, obwohl sie nur äußerst ungern beim Autofahren telefonierte.
»Baby«, sagte er gedehnt und in bester Barry-White-Manier. »Du fehlst mir. Komm nach Hause, bevor deine Seite des Bettes kalt wird.«
Sie lachte. Paul war der erste Mann, mit dem sie zusammen war, der sie immer wieder zum Lachen brachte. Wie verrückt von ihr, auch nur darüber nachzudenken, ihn zu verlassen. Aber ein gemeinsames Leben konnte sie sich auch nicht vorstellen – jedenfalls nicht unter seinen Bedingungen. Sie flüchtete sich in Humor. »Ich habe dir doch gesagt, was passieren würde, solltest du mich je wieder Baby nennen.«
»Oh ja, Baby, komm her und zeig mir, was für ein ungezogener Junge ich bin.« Er musste selber lachen und gab seine Rolle auf. »Im Ernst, Caitlyn, komm nach Hause, damit wir darüber reden können.«
Mit Paul die Zukunft ihrer Beziehung besprechen. Oder aber den Mann treffen, der für den Tod ihres Vaters verantwortlich war. Keine schwere Wahl. »Ich muss wirklich schon morgen früh in Raleigh sein. Ich melde mich, sobald ich wieder zurück bin.«
»Wirst du bis zum Wochenende wieder da sein?«
Er klang besorgt. Gott, er plante doch nicht etwa irgendetwas Verrücktes, das mit einem Ring zu tun hatte, oder etwa doch? Es würde ihm ähnlich sehen, irgendeine aufwändige Überraschung auszuhecken. Und in gewisser Hinsicht wäre sie auch gerne diese Frau, wegen der sich ein Mann den Kopf zerbrach, wie er sie erfreuen und überraschen könnte.
»Bin nicht sicher.«
Sein Seufzen hallte durch die Leitung. »Na schön. Fahr vorsichtig. Und ruf mich an.«
»Das mache ich.« Sie legte auf und konzentrierte sich wieder auf die einsame Straße, die vor ihr lag.
Als sie bei sich zu Hause ankam, parkte sie den Impreza vor dem aufwändig restaurierten Haus im viktorianischen Stil und schlich die knarzenden Treppen hinauf zu ihrer Wohnung im ersten Stock. Caitlyns Vermieterin litt ebenso wie sie selbst unter Schlaflosigkeit und kam nur zu gerne auf einen Plausch vorbei, sobald sie mitbekam, dass Caitlyn noch auf war.
Ihre Wohnung aufzugeben, das wäre das Zweitschlimmste, sollte sie je einen neuen Posten bekommen. Sie liebte ihre vier Wände mit den großen zugigen Fenstern und den hohen Decken. Zum ersten Mal überhaupt hatte sie einen Ort, der zunächst nur als Übergangslösung gedacht war, in so etwas wie ein Zuhause verwandelt.
Die Einrichtung war nichts Besonderes. Das Sofa teilte sich das Wohnzimmer mit ihrem Laufband. Und weil sie nie die Zeit gefunden hatte, sich einen ordentlichen Tisch oder Stühle zu besorgen, aß sie im Stehen am Küchentresen. Aber jedes Mal, wenn Caitlyn durch die Tür kam, merkte sie, wie die ständige Anspannung von ihr abfiel. Hier zu sein war eine Wohltat, egal ob sie es sich mit einem Buch auf der Couch gemütlich machte oder trainierte und dabei Wiederholungen von
Dr. Who
im Fernsehen schaute. Oder aber einfach nur dasaß und ihre Waffen reinigte.
Das Herzstück des Raumes stand in einer der Ecken: ein kleiner Waffenschrank aus Kirschholz, mit handgeschnitzten Verzierungen und einem ins Holz eingelassenen altmodischen Zahlenschloss. Er war niedrig, klein genug, um in einen Kofferraum zu passen, dabei aber schwer und aus massivem Holz gebaut. Es war das einzige Möbelstück, das sie bei jedem ihrer Umzüge mitgenommen hatte. Das Einzige, was ihr von ihrem Vater geblieben war.
Nachdem sie rasch unter die Dusche gesprungen war, zog sie ihre übliche Arbeitskluft aus dunkelblauer Hose und weißer Bluse an. Dann hockte sie sich vor den Waffenschrank und drehte am Zahlenschloss, um ihn zu öffnen. Sie liebte das
Klick Klick Klick
der Schließmechanik – es fühlte sich an, als würde sie einen Banksafe öffnen. Als Kind hatte sie immer das Ohr an die Tür gedrückt und so getan, als sei sie Willie Sutton, der gerade einen Safe knackt. Selbstverständlich war ihr das nie gelungen. Aber es hatte Spaß gemacht, es zu versuchen.
Als sie die Tür öffnete, schlug ihr der Geruch von Brüniermittel entgegen, ein Duft, den sie mehr als jedes Eau de Cologne oder Rasierwasser mit ihrem Vater
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