Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
er wünschte sich eine Familie, wäre der perfekte Vater, sie jedoch bestenfalls eine Rabenmutter.
In ihrer Jugend hatten all ihre Freunde ihre Mutter geliebt, weil Jessalyn Tierney sie wie Erwachsene behandelte, wie sie es auch bei Caitlyn tat. Sie verhätschelte sie nicht, zeigte sich durchaus zärtlich, vor allem aber entschlossen, ihre Tochter zu einem starken Menschen zu erziehen.
Stärker als dein Vater,
lautete stets die unterschwellige Botschaft.
Das Vorbild ihrer Mutter, die sich bei allem Kummer nie unterkriegen ließ und die sie früh wie eine Erwachsene zu Eigenständigkeit erzog, hatte nie große Mutterinstinkte in Caitlyn aufkommen lassen. Eher im Gegenteil: Kinder kamen ihr vor wie kleine Aliens, wie Eindringlinge in ihre Welt.
»Wie Sie möchten.« Er winkte einen anderen Wachmann heran, sie musste noch mehr Formulare ausfüllen, dann nahm er ihr die Waffe ab, schloss sie in eine Schublade ein und schickte Caitlyn durch den Metalldetektor.
Der zweite Gefängniswärter, er hieß Smith, schien bessere Laune zu haben als sein Kollege. Er begleitete sie zur Besucherzone, dabei passierte Caitlyn mehrere Türschleusen. Vor dem Besuchsraum angekommen führte er sie einen Flur entlang, nickte zwei Insassen zu, die den Boden wischten, und grüßte auch den Kollegen, der gerade die Tür zum Überwachungsraum aufschloss und dabei einen Kaffee in den Händen balancierte.
»Deswegen fing meine Schicht heute also schon früher an«, sagte der Kerl mit dem Kaffee zu Smith und beäugte Caitlyn. »Schätze, das ist es wert.«
Die beiden Häftlinge beäugten Caitlyn von der Seite, sie starrte offen zurück. Einer von beiden, ein dunkelhäutiger Mann mit kurzen Rastalocken, lächelte hoffnungsvoll. Caitlyn zog mit ostentativem Erstaunen eine Augenbraue hoch. Sein Kumpel lachte und versetzte ihm einen Stoß in die Rippen, damit er sich wieder an die Arbeit machte.
Smith führte sie an den drei Männern vorbei zu einem Durchgang, der in einen weiteren Flur mündete. Auf einer Seite lagen die Befragungszimmer, die den großen Besuchsraum umgaben. Der ihr zugewiesene Raum war leer bis auf zwei Plastikstühle, zu leicht, um als Waffe gebraucht zu werden, und einen fest im Boden verankerten Tisch. Zwei Wände aus weißem Beton, die anderen beiden waren aus Panzerglas mit eingelassenen Türen. Das Glas war so dick, dass jegliches Geräusch verstummte, sobald sich die Türen hinter ihr schlossen.
Nicht dumm, dachte Caitlyn. So waren der Gefangene und sein Besuch für sich, ohne dass zusätzliches Überwachungspersonal benötigt wurde. Der eine Wärter, der die Videokameras steuerte und sie von dem über ihnen liegenden Fenster aus beobachtete, reichte aus.
»Weiß nicht genau, wie lange es dauern wird«, sagte Smith. »Er wird durch den Insasseneingang kommen.« Er deutete auf eine gesicherte Glastür auf der Seite des Besucherraums, die sie durch das Fenster sehen konnte. »Hier ist die Gegensprechanlage, falls Sie irgendetwas brauchen.«
Sein Funkgerät knackte. Er hob es an den Mund, winkte ihr noch einmal zu und ging hinaus. Die Tür schloss sich mit lautem
Rumms
hinter ihm.
Caitlyn setzte sich mit dem Rücken zur Tür, durch die sie gerade gekommen war, sodass sie auf die Glaswand sehen konnte. Die zweite Tür und das Fenster, durch das sie schaute, führten zum Besucherraum, einem großen Saal, ähnlich einer Cafeteria, in dem runde Tische mit Stühlen darum standen. Es gab eine Spielecke für Kinder; die Wand am anderen Ende war von Getränke- und Snackautomaten gesäumt. Ohne den Wärter, der in seinem rundumverglasten Beobachtungsraum über dem Schild saß, auf dem die Besucher und Insassen angehalten wurden, sich an die Besuchsregeln zu halten, hätte man das Ganze für eine günstige familienfreundliche Fast-Food-Kette halten können.
Der Eingang für Insassen lag direkt unter dem Beobachtungsraum. Hale würde einen Metalldetektor passieren müssen, so wie sie gerade eben, und von einem Wärter durchsucht werden. Dann konnte er den Besuchsraum betreten und durch ihn hindurch zu dem kleineren Raum kommen, in dem sie auf ihn wartete.
Ganz schöner Aufwand, um mit einem Mann zu sprechen, den sie eigentlich nie wieder sehen wollte. Aber Caitlyn musste ununterbrochen an die kleine Lena zu denken – inzwischen fast siebenundzwanzig – wie sie mit ihrer schlackernden Windel über den Boden krabbelte. In was für einen Schlamassel war sie bloß hineingeraten?
Die Worte des Gefängnispfarrers ließen sie
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