Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
Caitlyn Tierney.«
Die Hotelmitarbeiterin, eine Cherokee in den Zwanzigern mit schwarzem Kostüm und frisch gestärkter weißer Bluse, auf deren Kragen das
VistaView
-Monogramm gestickt war, beugte sich über ihren Computer. Caitlyn lehnte sich an den Tresen und beobachtete einen Mann, der sich einige Meter weiter anmeldete. Er war groß, muskulös, aber schlank, trug Jeans, ein schwarzes T-Shirt, schwarze Lederjacke und Sonnenbrille. Ein Filmstar? Mit dem halblangen blonden Haar und stoppeligem Bart erinnerte er sie an Viggo Mortensen. Besonders durch die Art, wie er sie über die Sonnenbrille hinweg mit diesem selbstbewussten, herausfordernden Blick musterte und dabei etwas Gefährliches ausstrahlte.
Sie widerstand dem Drang, wegzuschauen. Er nickte ihr flüchtig zu und setzte ein breites Lächeln auf. Als ob ihm gefiel, wie mutig sie sich dem großen bösen Wolf stellte.
Arschloch
, dachte sie, zog eine Augenbraue hoch und drehte ihm demonstrativ den Rücken zu. In dem Spiegel hinter dem Empfangstresen konnte sie ihn jedoch immer noch im Auge behalten.
»Ach, Miss Tierney«, sagte die Rezeptionistin mit einem Mal ganz respektvoll. »Ihr Onkel sagte, wir sollen ihn anrufen, sobald Sie eintreffen. Er ist gerade beim Sicherheitschef.«
»Stören Sie ihn nicht«, sagte Caitlyn. Sie wollte einfach nur irgendwo ihre Sachen ablegen und sich dann auf Lenas Spuren begeben. Später würde sie vielleicht noch heiß duschen, bevor sie Elis private Unterlagen durchging.
»Er hat das ausdrücklich verlangt.« Die Frau klang so, als würde sie sich eher einer FBI -Agentin widersetzen als Jimmy. Wie aus dem Nichts tauchten zwei Hotelpagen auf, einer griff nach ihrer Tasche, der andere stand Wache.
»Nein. Danke. Das geht schon«, sagte sie. Auf gar keinen Fall würde sie einem Wildfremden ihre Tasche mit ihrem Laptop und der Ersatzwaffe darin überlassen. »Die trage ich selbst.« Sie nahm die kleine Stofftasche und warf sie sich über die Schulter. Die Pagen traten einen Schritt zurück und schauten fragend zur Empfangsdame.
»Aber Ihr Onkel«, sagte die junge Frau. »Mr McSwain hat gesagt …«
»Verraten Sie mir einfach, wo mein Zimmer ist. Um meinen Onkel werde
ich
mich dann kümmern.« Als einer der beiden Pagen näher kam, presste Caitlyn sich ihre Tasche vor die Brust. Sie starrte ihn an, bis er wieder zurückwich. Der Möchtegernfilmstar hatte die ganze Szene beobachtet; am liebsten hätte sie Ausweis und Glock gezückt, um ihm sein süffisantes Lächeln auszutreiben.
»Da ist ja mein Lieblingsrotschopf, wie immer dabei, Unruhe zu stiften«, hörte sie eine Männerstimme in ihrem Rücken.
Caitlyn hatte gehofft, er hätte den ihr schon immer verhassten Spitznamen vergessen, drehte sich aber dennoch lächelnd zu ihm um. »Onkel Jimmy!«
Es war fast fünfzehn Jahre her, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, aber er sah immer noch genauso aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Gerade groß genug, dass es sie leicht von den Füßen zog, wenn er sie fest in die Arme schloss, immer noch mit der kleinen Wampe, die seinen Gürtel zu sprengen drohte, das blonde Haar akkurat geschnitten. Genau wie ihre Mutter kleidete auch er sich sehr sorgfältig, und inzwischen saß der Anzug auch perfekt um die gerundeten Schultern. Maßgeschneidert.
Er umarmte sie herzlich. »Wie geht’s, Rotschopf? Immer noch so misstrauisch wie eh und je?«
Wahrscheinlich sollte das ein Scherz sein, bei Onkel Jimmy war immer alles lustig gemeint, aber nach dem, was im vergangenen Sommer geschehen war, traf Caitlyn das wirklich. Sie löste die Umarmung und trat einen Schritt zurück, dabei hielt sie die Tasche wie einen Schild vor die Brust.
»Du siehst großartig aus, Jimmy. Das Kasinogeschäft scheint dir gut zu bekommen.« Als sie noch klein war, hatte ihr Vater immer leicht verächtlich auf Jimmys ständig wechselnde Tätigkeiten geblickt, vom Tagesgeschäft an der Börse über Patentanmeldungen bis hin zur Erschließung von Bauland. Jimmy könne wohl mit allem Geld verdienen, solange es keine wirkliche Arbeit erforderte, hatte Sean Tierney oft abschätzig gesagt – selbstverständlich nur, wenn seine Frau außer Hörweite war.
Jimmy lachte in sich hinein, sein Blick glitt durch die Lobby über die Spieler um sie herum hinweg. »Das wird mich noch ins Grab bringen, Rotschopf. Jeden Tag eine neue Sorge, ob nun Falschspieler, betrügerische Firmen oder die Spielbankkommission. Aber, hey, so ist das Leben.« Er wischte seine Sorgen mit einer
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