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Schweig still, mein totes Herz (German Edition)

Schweig still, mein totes Herz (German Edition)

Titel: Schweig still, mein totes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. J. Lyons
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berührte den Draht, klopfte sachte mit einem Finger auf die Nägel und ließ ein kehliges Geräusch hören, das klang, als würde sie eine unangenehme Frage stellen.
    »Ich weiß, das wird nicht einfach«, sagte Lena und suchte den Blick des Affen. »Es wird wahrscheinlich wehtun.« Sie presste beide Handflächen gegen den Draht, drückte dagegen und schob ihn so weit nach vorn, wie sie konnte. Die Schimpansin schob sich durch das Loch in der Wand auf sie zu, und die kurzen Haare seiner Schnauze kitzelten Lenas Hände, als er an ihren blutigen Wunden schnüffelte.
    Laut kreischend und sichtlich aufgebracht erhob Smokey sich auf die Hinterbeine und wich zurück.
    »Warte, geh nicht!«
    Zu spät, Smokey war bereits im nächtlichen Dunkel verschwunden.
    Lena wischte sich das Gesicht am Ärmel ab, ohne sich darum zu kümmern, dass dabei Tränen, Schleim und Gipsstaub auf ihren besten Wollmantel kamen. Den sie noch mit dem Original-Preisschild daran in einem Second-Hand-Laden entdeckt und extra für das Vorstellungsgespräch gekauft hatte. Von Anne Klein, für nur drei Dollar. Damals hatte sie das noch für ein gutes Omen gehalten, erinnerte sie sich.
    Wie dumm von ihr. Sie hätte es besser wissen müssen und sich nicht auf irgendwelche Zeichen oder Omen verlassen sollen. Es gab nur einen, der ihr dabei helfen konnte, das hier zu überleben: Gott. In Ihn musste sie ihre Hoffnung setzen.
    Dieser Gedanke schenkte ihr innere Gelassenheit, und all die Geräusche der Nacht, ihr eigener abgehackter Atem, das Pochen ihres Herzens, verloren sich in einer friedvollen Stille. Sie schloss die Augen, um durch Seine Augen zu sehen, was ihr vorherbestimmt war.
Ich bin bereit, Herr. Ich verlasse mich ganz auf Dich. Bitte schenke mir die Stärke und den Mut, den Weg zu beschreiten, den Du mir vorherbestimmt hast. Amen
.
    Sie füllte ihre Lungen mit kühler frischer Luft. Beim Ausatmen entwichen ihre Zweifel und Ängste gleich mit. Von neuer Kraft erfüllt öffnete sie die Augen.
    Smokey war zurückgekommen, saß mit um den Oberkörper geschlungenen Armen da und betrachtete Lena. Der Affe sah sehr traurig aus.
    »Ist schon gut«, versicherte Lena ihr, hockte sich auf den Trümmerberg und ahmte die Haltung der Schimpansin nach. »Uns wird schon etwas einfallen.« Sie schnürte sich den Mantel enger, um den eiskalt hineinwehenden Winterwind abzuhalten. Dann fiel ihr Blick auf die Gürtelschnalle. Nickel. Und der Gürtel selbst war aus Wolle. Würde er das aushalten?
    Danke
, flüsterte sie an den Himmel gewandt. Direkt über den eingeschlagenen Nägeln wob sie den Gürtel durch die Drahtmaschen. Der Holzunterbau und die Nägel waren stärker als der Draht, besonders dort am Boden, wo er abgeschnitten worden war. Sie musste also nur genügend Hebelkraft ausüben, um ein paar der mit dem Gürtel verwobenen Litzen abzulösen.
    Nachdem sie den Gürtel herumgewickelt hatte, stemmte sie sich mit den Füßen gegen die Wand und lehnte sich mit dem ganzen Gewicht nach hinten, bis der Gürtel straff gezogen war. Smokey feuerte sie mit lautem Grunzen und Kreischen an.
    Der Draht leistete Widerstand, bog und wand sich. Smokey klatschte, während Lena weiterhin mit aller Kraft zog. Endlich platzten die Stränge unter den Nägeln aus der Verankerung. Zwei Zentimeter, vier Zentimeter, schließlich ergab sich der Draht mit lautem
Pop-popopp-popp.
Lena plumpste nach hinten zurück, und eine neue Gipswolke stob auf, während Smokey vor Freude über diesen Sieg Purzelbäume schlug und mit den Fäusten gegen die Wand hämmerte.
    »Dem Himmel sei Dank!«, rief Lena und führte beim Kraxeln über die Trümmer ihr eigenes Freudentänzchen auf.
    Sie warf ein paar Flaschen von ihrem Proteinshake-Vorrat durch die Öffnung, dann ihren Mantel. Das Halstuch wickelte sie sich fest ums Gesicht, um sich nicht an abstehenden Splittern oder Nägeln zu verletzten, zog den Bauch ein und kroch durch die Öffnung in der Wand in die Freiheit.
    Die Nacht war sternenklar, die Gestirne schimmerten lichtumrankt durch den Nebel, der sich im stürmischen Westwind über den Bergen verfangen hatte. Nie zuvor hatte sich Vor-Kälte-Zittern so gut angefühlt.
    Voller Hoffnung schlüpfte Lena wieder in den Mantel, steckte sich so viele Fläschchen in die Taschen, wie sie tragen konnte, und spähte prüfend ins Dunkel der Baumreihen. Keinerlei Anzeichen von Zivilisation. Smokey traute sich auch wieder zurück, lief bedächtig um Lena herum und musterte sie prüfend. Lena rührte sich nicht,

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