Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
erleichterten die vielen Menschen ihr Vorhaben, erschwerten die Sache gleichzeitig aber auch. Einfacher wurde es, weil sie als Fremde im Getümmel weniger auffiel; schwieriger, weil sie so unter Umständen weniger herausbekam. Denn wenn die Bar voller fremder Menschen war, würden die Reaper wohl kaum Klubinternes besprechen. Sie dachte darüber nach, ob sie Lenas Foto herumzeigen sollte, entschied sich aber dagegen. So würde sie nur unnötig Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ohne eine vernünftige Antwort zu bekommen. Besser, sie wartete erst mal ab, bis sie die Reaper besser einschätzen konnte.
Caitlyn schob ein Klappmesser in die vordere Jeanstasche, wo es kaum auffiel, und verstaute den Teleskopstock in der Manteltasche. Ihre Dienstwaffe schloss sie jedoch lieber im Kofferraum ein. Die Glock 22 sprang zu leicht ins Auge, da konnte sie sich genauso gut FBI auf die Stirn schreiben. Die kleinere Baby-Glock an der Wade musste ausreichen.
Außerdem war ihr Lächeln die beste Waffe, wenn sie es geschickt anstellte. Zusammen mit der erbeuteten Anstecknadel. Sie steckte sich die Nadel weithin sichtbar an den Kragen.
Als Nicht-Reaper dieses Abzeichen zu tragen war eine offene Provokation.
Na dann kommt nur, ihr Kerle.
Sie schlenderte über die Straße und schlängelte sich durch die Motorradreihen bis zur Veranda durch, die – trotz der vielen Fenster, die nach vorne rausgingen – größtenteils im Schatten lag. Der Holzboden unter ihren Stiefeln bebte vom Bass eines Rocksongs, in dem der Sänger von Buckcherry seine Wut über irgendeine dämliche Schlampe hinausschrie.
»Kommt ’ne Braut alleine in eine Rockerbar …«, empfing sie eine Männerstimme, als sie über die Veranda auf den Eingang zuging. »Hört sich an wie der erste Satz von einem schlechten Witz.«
Es hätte die missglückte Anmache eines Betrunkenen sein können, nur klang der Kerl gar nicht betrunken. Als sie sich zu ihm umwandte, erkannte sie den Blonden aus dem
VistaView
wieder, der jetzt neben dem Eingang zur Bar an der der Wand lehnte. Mit seinen schwarzen Klamotten war er im Dunkel kaum auszumachen. Er nickte ihr zu und hob sein Yuengling zum Gruß.
»Verfolgen Sie mich?«, fragte sie.
»Wohl eher umgekehrt«, erwiderte er. »Immerhin bin ich lange genug hier gewesen, um mir ein Bier zu holen, genug von der verrauchten Luft und dem Krach zu haben und frische Luft zu schnappen.«
»Auch ein Reaper?« Er trug keine Kutte – die Lederweste mit Aufnähern, die Status und Zugehörigkeit zu den Ortsverbänden verrieten.
»Ich kann alles sein, was du willst, Süße. Du suchst einen Reaper? Durch die Wohltätigkeitsstour am Wochenende besteht heute Abend kein Mangel an denen. Und hier sind auch jede Menge Nicht-Reaper. Motorradbegeisterte, so wie ich.
Er war ihrer Frage ausgewichen, aber sie würde es darauf beruhen lassen. Eigentlich wollte sie reingehen, aber alles in ihr sträubte sich dagegen, ihn hier zurückzulassen. Er bemerkte ihr Zögern und setzte wieder dieses dunkle Lächeln auf, mit dem er sie schon vorhin so gereizt hatte.
»Hätten Sie gerne eine Begleitung für den Abend?«, fragte er und drückte sich von der Wand ab. Jetzt erst bemerkte er das silberne Zeichen an ihrem Kragen. »Oder brauchen Sie die möglicherweise gar nicht? Ich will da keine Revierstreitigkeiten anfangen.«
»Hören Sie, Mister …«
»Goose.«
»Wie bitte?«
»Goose. So heiße ich.« Er wartete. »Und Sie sind?«
Aufdringliche Typen wie er waren ihr zuwider. Arrogante Scheißkerle, die über alles bestimmen wollten. Aber an einem Ort wie diesem wimmelte es sicher von dieser Sorte. Da war dieser Goose wahrscheinlich noch am unbedenklichsten. Jedenfalls sah er besser aus als die meisten anderen. Also setzte sie ein freundlicheres Gesicht auf, zwang sich zu einem Lächeln und stellte sich vor: »Caitlyn. Freut mich, Sie kennenzulernen, Goose.«
Er neigte den Kopf, als hätte er zu viele Gary-Cooper-Filme gesehen. »Die Freude ist ganz meinerseits, Ma’am. Sie haben nicht zufällig Lust zu tanzen? Oder auf eine Partie Billard?«, fügte er rasch hinzu, als sie nach der ersten Frage zögerte. »Lassen Sie mich Ihnen zumindest ein Bier spendieren.«
»Was das Tanzen anbelangt, muss ich ablehnen, aber zu einer Partie Billard und einem Bier sage ich nicht Nein.« Auf der Tanzfläche ließ es sich schwer reden oder irgendein Gespräch belauschen, von einem Billardtisch aus könnte sie sich hingegen einen ersten Überblick verschaffen und die Lage peilen.
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