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Schweig still, mein totes Herz (German Edition)

Schweig still, mein totes Herz (German Edition)

Titel: Schweig still, mein totes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. J. Lyons
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sie zu stellen.
    Sie verstand zwar nicht, wovor er sie schützte und in was sie da hineingestolpert war. Aber zum ersten Mal seit Tagen, nein, seit Jahren – eigentlich seitdem ihre Mutter und Vonnie gestorben waren –, hatte Lena nicht mehr das Gefühl, sich ganz alleine durchschlagen zu müssen.
    Sie rannte, rannte durch die Baumreihen, die Hände blutverschmiert. So viel Blut. Sie blieb stehen. Starrte auf ihre Hände. Und fing an zu schreien.
    »Caitlyn. Caitlyn, wach auf.« Eine Männerstimme unterbrach ihre Schreie.
    Sie blinzelte das Blut weg. Erkannte Paul, der sich über sie beugte. »Du hattest einen deiner Träume.« Er hockte sich neben ihren Sessel, zog sie an sich und vertrieb den Schüttelfrost mit seinem warmen Körper. »Ich dachte, ich wecke dich besser, ehe …«
    Ehe sie tatsächlich zu schreien anfing. Wie schon so oft.
    Caitlyn atmete tief durch, versuchte sich zu fangen und schob ihn weg. Paul hatte bereits zu viel von ihrer verletzlichen Seite gesehen. Und sie hatte angefangen, sich auf ihn anstatt auf ihre eigene Stärke zu verlassen. Das war auch in Ordnung gewesen, solange sie sich von der Gehirnoperation erholt hatte, und nachdem sie nur knapp einem Soziopathen entkommen war. Und wie hätte irgendjemand Pauls Lächeln und seinem freigiebigen, tröstlichen Wesen widerstehen können? Jetzt erkannte sie jedoch, dass sie einen Fehler begangen hatte. Einen großen Fehler.
    Sie durfte sich nur auf sich selbst verlassen, auf niemanden sonst. Nicht einmal, wenn derjenige so liebenswert war wie Paul.
    »Mir geht’s gut.« Ihre zittrige Stimme strafte sie Lügen. »Wie spät ist es?«
    »Ungefähr sechs.« Er schlüpfte zu ihr auf den Sessel und sah sie forschend an. Sie wandte das Gesicht ab. »Meinst du nicht, es ist an der Zeit, dass du mir von deinem Vater erzählst?«
    Sie atmete noch einmal durch. Die Luft im Zimmer drückte ihr auf die Lunge. Oder vielleicht war es auch ihr Herz, auf dem die Erinnerungen so schwer lasteten. Genau wie der Entschluss, Paul zu verlassen. Sie hatte das Gefühl, ihm das noch schuldig zu sein, diese abschließende Antwort, den Grund, weshalb sie niemals richtig mit ihm zusammen sein konnte. Oder mit irgendjemandem sonst. »Ich habe dir nie erzählt, wie er gestorben ist, oder?«
    »Nein. Nur, dass du diejenige warst, die … die ihn gefunden hat.«
    Sie nickte, das Gesicht immer noch abgewandt. »Ich war neun. Mein Vater hat immer lange gearbeitet. Vier Tage die Woche für den Sheriff und an den freien Tagen dann für den Vater meiner besten Freundin, Eli Hale. Ihm hat er auf der Baustelle ausgeholfen.«
    »Hale. Nach dessen Tochter du jetzt suchst.«
    »Lena. Sie ist die Jüngere. Als ich sie zuletzt gesehen habe, war sie noch ein Kleinkind. Wie dem auch sei, es war ein wunderschöner Frühlingstag, und mein Vater hatte frei, also habe ich die Schule geschwänzt und mich zu Hause unter der Veranda versteckt – das war mein Lieblingsversteck, warm im Winter, kühl im Sommer, die meiste Zeit des Jahres über trocken. Ich dachte, mein Vater würde an so einem schönen Tag bestimmt angeln gehen, und ich wollte mitkommen.«
    Sie sah die schräg durchs Gitterwerk einfallenden Sonnenstrahlen vor sich, die Schatten auf die festgestampfte Erde unter ihren Füßen warfen. Wie warm der Boden war. Ihr Vater würde wütend sein, weil sie nicht in der Schule war, aber auch über ihre Unverfrorenheit lachen. Er ermunterte sie stets dazu, niemals vor etwas Angst zu haben, mutig für etwas einzustehen, wenn sie überzeugt war, das Richtige zu tun. Und bei all dem, was in letzter Zeit in Evergreen los gewesen war, wusste Caitlyn, es war das Richtige, ihren Vater zum Angeln zu begleiten, ihn zum Lachen zu bringen und seine Sorgen zu vertreiben, wenn auch nur für einen Tag.
    »Die Erwachsenen waren alle so beunruhigt und verängstigt«, fuhr sie fort. »Tommy Shadwick war vor einigen Wochen umgebracht worden, auf Indianerland. Jemand hatte ihn mit einem Hammer erschlagen und sein Haus niedergebrannt. Die Leute redeten darüber und schlossen zum ersten Mal überhaupt ihre Haustüren ab. Aber wir Kinder, für uns war das alles nur ein Abenteuer. Endlich war in unserem kleinen, langweiligen Ort mal etwas Aufregendes passiert.«
    Paul schob seinen Sessel näher zu ihr und schlang von hinten die Arme um sie. Unwillkürlich schmiegte sie sich an ihn, ein Reflex. Sie konnte nicht anders. Zumindest war das ihre Entschuldigung. »Dein Vater, hat er in diesem Mordfall

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