Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
legte die Mündung ihrer Glock auf die nackte Frau, die Tinys Road King Classic zierte.
Es ging kein Raunen durch die Menge, zugleich aber bildete sich eine weiße Schwade, als alle Reaper gemeinsam ausatmeten und wütend die Zähne bleckten. Schlimm genug, dass sie sich mit einem von ihnen anlegte, aber sich auch noch an seiner Maschine zu vergreifen? Darauf stand der Galgen.
Dennoch würde keiner von ihnen es wagen, Tinys Motorrad zu gefährden. Und so hatte Caitlyn Tierney die gesamte Mannschaft unter Kontrolle bekommen, ohne auch nur einen einzigen Tropfen Blut zu vergießen.
Caitlyn umfasste den Schlagstock fester und tippte einem Daytona-Anwärter auf die Schulter. »Du. Geh ins Haus und sag Poppy, dass ich mit ihm sprechen möchte.«
Keiner rührte sich, während der Anwärter auf das Haus zurannte, die Stufen zur Veranda hochflitzte und im Innern verschwand. Na ja, von vereinzelten Grunzern, grollenden Lauten und mit angehaltenem Atem gezischten Verwünschungen abgesehen. Caitlyn beschloss, das zu ignorieren.
Glücklicherweise kam der Anwärter zurück, ehe die lodernde Wut ihres Gegenübers sich zu einem Flächenbrand ausweitete. »Poppy sagt, Sie sollen reinkommen«.
Ja klar. Für wie blöd hielten die Reaper sie? »Vielen Dank, ich denke hier draußen wird es auch tun.«
Der Anwärter wandte sich mit deutlichem Achselzucken zum Haus. Kurz darauf erschien Poppy in Begleitung eines anderen Mannes. Wenn Poppy wie eine Mischung aus Willie Nelson und Jerry Garcia aussah, bloß mit den toten Augen eines Charlie Manson, dann war sein Begleiter eher der Typ John Travolta in
Pulp Fiction
, allerdings ohne Anzug. Er trug Jeans, Motoradstiefel und ein schwarzes T-Shirt unter der Kutte. Tätowierungen sah sie keine; der Mann war frisch rasiert und sah aus, als hätte er gerade eine Stunde beim Frisör verbracht und noch fünfzehn Dollar Trinkgeld gegeben.
Sie hätte ihn für einen Mitläufer gehalten, irgendeinen Möchtegern-Rocker, bis sie ihm in die Augen sah. Wie bei Poppy verriet sein Blick, dass er notfalls über Leichen ging. Als seien die Männer um ihn herum nur Marionetten. Dann war er nahe genug herangekommen, dass sie seine Abzeichen erkennen konnte. Der Anführer aller Reaper. Caruso höchstpersönlich gab sich die Ehre.
Die Reaper gingen auseinander und machten Caruso und Poppy in respektvollem Gehorsam den Weg frei. Ein paar von ihnen sahen mit erwartungsvollen Gesichtern zu Caitlyn hin, als rechneten sie damit, dass Caruso einen Blitz vom Himmel fahren ließ, um sie für ihre Gotteslästerung zu erschlagen.
Kein Wunder, dass sie ihre Versammlungen auch Kirchgänge nannten.
Caitlyn ergriff die Initiative. »Guten Morgen«, grüßte sie munter. »Wunderschöner Tag, oder nicht?«
Poppys Blick verdüsterte sich. Caruso lachte in sich hinein. »Ja, ja, das kann man wohl sagen. Wunderbarer Tag für eine Rundfahrt.« Der Kerl redete auch noch wie ein Bankmanager.
Die beiden Männer waren an dem Kreis aus Motorrädern angekommen, die sie und ihren Wagen umgaben. Mit einem Nicken entließ Poppy die Männer, die sich daraufhin rasch verteilten. Somit blieben nur noch er und Caruso, Caitlyn, die ihre Waffe immer noch auf die Nackte gerichtet hielt, und der Riese, der unruhig von einem Fuß auf den anderen trat, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, seine Maschine zu beschützen und seinem Anführer zu gehorchen.
Caitlyn handelte rasch, um etwaigen Forderungen zuvorzukommen. In einer solchen Auseinandersetzung war es unabdingbar, die Oberhand zu behalten, aber sie wollte die anderen auch nicht zu sehr reizen.
Also ging sie schwungvoll auf ein Knie nieder und schlug mit dem Schlagstock gegen den Vorderreifen, sodass der Stock wieder zusammenfuhr. Dann nickte sie dem Riesen zu und steckte die Waffe ins Holster. Er stürzte sofort auf sein Motorrad zu, rieb mit der Handfläche über die Nackte und suchte den Lack nach Kratzern ab.
»Geh«, befahl ihm Poppy. Der Riese warf Caitlyn noch einen äußerst mordlustigen Blick zu, ließ den Motor an und fuhr zu den anderen Reapern, die sich vor dem Haus gesammelt hatten.
Jetzt gab es nur noch sie drei. Ach so, und Goose natürlich, ihr knackiger Verfolger. Fehlte nur noch Weasel, dann wäre die Runde komplett. Als sie daran dachte, welchen Schaden er wohl da draußen anrichtete, stellten sich ihr die Nackenhaare auf und sie musste unwillkürlich an Paul denken. Sie hatte ihn in einer gut einsehbaren Nische des Restaurants im Kasino zurückgelassen.
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