Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
zwanzig Minuten lang durch den Ort, bis er ihren Wagen im Krambergerweg nicht weit vom Stadtbach entfernt entdeckte. Der dunkelblaue Audi war keine fünfzig Meter davon auf der anderen Straßenseite stadteinwärts geparkt. Er konnte die Schemen der beiden Insassen im Vorbeifahren ausmachen, fuhr jedoch mit unverminderter Geschwindigkeit weiter, um sie auf keinen Fall misstrauisch zu machen.
Er bog in die Wagenhofstraße ein, von der er wusste, dass sie in einem großen Bogen auf den Krambergerweg zurückführte, und parkte an einer Stelle, von wo aus er sowohl Anjas Bus als auch den Verfolgerwagen gut im Blick hatte. Dann zückte er sein Handy. Er hatte die Nummer seiner Frau bereits gewählt, als ein anderer Wagen den Krambergerweg entlanggekrochen kam. Kaum hatte er die Höhe des Verfolgerwagens erreicht, scherte der aus seiner Parklücke aus und fuhr langsam stadtauswärts. Rupert sah ihm unschlüssig hinterher. Der soeben eingetroffene Wagen parkte in die Lücke ein. Seine Scheinwerfer erloschen.
Ablösung!, durchfuhr es ihn. Das wurde ja immer verrückter. Er warf das Handy auf den Beifahrersitz, startete den Motor, wendete, so schnell er es in der schmalen Straße vermochte, und fuhr die Wagenhofstraße zurück. Gerade als er die Einmündung zum Krambergerweg erreichte, rollte der dunkelblaue Audi stadteinwärts an ihm vorüber. Rupert zählte bis zwanzig, dann folgte er. Diesmal ging er nicht das Risiko ein, sie aus den Augen zu verlieren, denn er hatte keine Ahnung, wohin sie fuhren. Sie nahmen die Bundesstraße Richtung Weiden.
Bei Nabburg fuhren sie auf die Autobahn, und im Schutz des bereits recht dichten Autobahnverkehrs konnte er wieder näher aufschließen. Von hier waren es noch knapp dreißig Kilometer bis nach Weiden. Und wenn sie noch weiter fuhren? Er warf einen Blick auf seine Tankuhr. Halbvoll. Aber seine Sorge war unbegründet. Sie nahmen in Weiden die erste Abfahrt, bogen in westlicher Richtung nach Etzenricht und dann auf die Regensburger Straße. Rupert ahnte, wo sie hinfuhren, aber als der Audi vor dem dreistöckigen Flachbau der Polizeidirektion tatsächlich anhielt und dann, als der Gegenverkehr es zuließ, in die Einfahrt einbog, die in die Tiefgarage hinabführte, war ihm dennoch, als erlebe er noch immer einen bösen Traum. Die Polizei ließ Anja überwachen? Warum?
Noch bevor der Audi in der Tiefgarage des Bürohauses verschwunden war, hatte er sein Telefon herausgeholt und Margas Nummer gewählt.
»Ja?« Seine Frau klang besorgt. »Rupert. Wo bist du denn? Wo warst du die ganze Nacht?«
»In Regensburg. Bei Lukas. Ist Vater da?«
»Nein. Er fährt Waltraud zur Arbeit. Wann kommst du nach Hause?«
»Ich bin in einer halben Stunde da. Vater soll auf mich warten, wenn er zurückkommt.«
37
E s war halb zehn, als sie den Bus an der Schranke im Wald abstellte und sich auf den Weg zum Leybachhof machte. Sie blieb des Öfteren stehen und lauschte in die Waldstille hinein. Aber soweit sie es beurteilen konnte, war außer ihr niemand im Wald unterwegs. Als der Leybachhof in Sichtweite kam, verharrte sie einige Minuten auf der Stelle. Sie konnte keinerlei Anzeichen dafür entdecken, dass sich jemand im Haus befand. Schließlich gab sie sich einen Ruck, legte die Strecke zum Haupthaus in einem Zug zurück, öffnete die Tür, die noch immer unverschlossen war, huschte in den Flur hinein und zog die Tür hinter sich zu.
Soweit sie feststellen konnte, hatte sich nichts verändert. Einer der schwarzen Säcke war umgefallen, und ein Teil des Inhalts hatte sich über den Boden ergossen. Anja stieg darüber hinweg, durchquerte die Küche und begab sich auf direktem Weg in den ersten Stock. Auch hier war alles unverändert. Seit ihrem letzten Besuch vor drei Tagen war niemand hier gewesen.
Sie öffnete die Tür zu Xavers Zimmer, ging hinein und verschloss sie leise wieder. Dann trat sie ans Fenster. Immerhin würde sie es sehen, wenn jemand kommen sollte. Was könnte sie zu ihrer Rechtfertigung vorbringen? Da konnte sie lange überlegen. Hier würde ihr keine Ausrede heraushelfen. Falls heute jemand aus Faunried hierherkam, würde sie entweder unbemerkt davonschleichen oder sich verstecken müssen.
Wie bereits am Mittwoch setzte sie sich auf den Sessel in der Ecke und ließ das Zimmer auf sich wirken. Der eigentümliche Geruch hatte diesmal nicht die gleiche Wirkung. Sie erkannte ihn zwar wieder, aber es ging kein Wahrnehmungsfenster in ihr auf. Sie starrte das Bett an, die Wandpaneele, den
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