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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Blickfeld. Einige Sekunden später hörte er das Schlagen von Autotüren.
    Noch einmal beschleunigte er mit all seiner Kraft. Er sah, wie die Öffnung vor ihm größer und größer wurde, dann spuckte sie ihn hinaus ins Freie.
    Der unterirdische Gang endete am Fuß eines grasbewachsenen Hangs. Um ihn herum erstreckte sich die Weite der nächtlichen Wiesen. Die Sterne legten ein kaltes Licht über die Hügel.
    Wenige Meter neben ihm jaulte der Motor eines Geländewagens auf. Michaelis fuhr herum und bemerkte, wie der Jeep sich mit einem Rucken in Bewegung setzte. Ein junger Mönch saß am Steuer, ein älterer Mann kauerte daneben auf dem Beifahrersitz.
    Michaelis sprang vor und verfehlte den Wagen nur um wenige Zentimeter. Der Antrieb kreischte auf, einen Augenblick lang sah es aus, als würden die Reifen unter der plötzlichen Beschleunigung durchdrehen, dann schoss das Fahrzeug vorwärts. Nur mit Mühe konnte Michaelis sein Gleichgewicht halten. Er riss das Gewehr hoch und schoss auf die Reifen, aber seine Kugeln schlugen wirkungslos in den Boden oder streiften die Karosserie. Der Wagen verschwand hinter der Biegung des Hügels.
    Michaelis kochte vor Wut. Er brauchte mehrere Sekunden, ehe er sich so weit in der Gewalt hatte, dass er wieder klar denken konnte. Er begriff, welches Glück er gehabt hatte. Er war dem Hexenkessel des umkämpften Klosters entkommen. Selbst wenn es den Mönchen gelingen sollte, seine Leute zurückzuschlagen – er selbst befand sich in Sicherheit.
    Mit weiten Schritten stieg er durch das hohe Gras den Hügel hinauf. Noch ehe er oben angekommen war, sah er den roten Schein, der wie ein Neonreif über der Kuppe lag. Ein paar Schritte weiter blickte er vom Gipfel hinunter ins Tal und auf die verwinkelte Form der Klosteranlage.
    Rauch hing wie eine graue Glocke zwischen den drei Kirchtürmen. An mehreren Stellen wurde sie von unten durch rotgelbes Flackern erleuchtet. Das Kloster brannte.
    Eine Gruppe von Menschen, sieben oder acht, löste sich aus den Schatten einer Klostermauer und stolperte hinaus in die Nacht. Michaelis erkannte sie selbst in der Dunkelheit und trotz der Entfernung.
    Nawatzki schlug mit einer energischen Bewegung die helfenden Arme seiner Leibwächter von sich. Es machte ihm keine Mühe, mit dem Tempo der jüngeren und trainierteren Männer mitzuhalten. Von Heiden dagegen schien verletzt zu sein. Er zog ein Bein nach und wurde von zwei Helfern gestützt. Zwei weitere Männer sicherten die Gruppe nach hinten. Michaelis sah gelegentlich die Mündungen ihrer Waffen aufblitzen, konnte aber im Rauch und in der Finsternis nicht erkennen, auf wen sie feuerten. Auf die Mönche, nahm er an.
    Er raffte seinen Mantel zurecht, prüfte den Munitionsvorrat seines Gewehrs, dann lief er die Hügelflanke hinunter, um seinen Vorgesetzten beizustehen.
    Sandra trug ihr dunkelbraunes Haar ebenso lang und glatt wie vor vierzehn Jahren. Sie war immer noch sehr schlank, aber ihr Körper wirkte zäher, durchtrainierter. Über ihrer engen, dunklen Kleidung trug sie eine grobe Lederjacke, die bis zu ihrer schmalen Taille reichte. In beiden Händen hielt sie Pistolen, deren Mündungen auf die Rothaarige wiesen.
    »Los, kommt hier hoch!«, rief sie Carsten und Nina von der Balustrade aus zu.
    Carsten bewegte sich nicht. Er stand wie angewurzelt da. »Dann hat Fenn nicht gelogen«, sagte er.
    »Offensichtlich nicht.« Sandras Stimme klang ungeduldig. »Verdammt, kommt endlich. Wir haben keine Zeit. Nawatzkis Leute sind bereits überall. Die Mönche werden sie nicht mehr lange aufhalten können.«
    Carsten nickte. Er wandte sich zu Nina um.
    Die Rothaarige nutzte den Augenblick, in dem Sandra abgelenkt war. Lautlos schnellte sie nach vorne, packte Nina, legte ihr den linken Arm um den Hals und riss sie zurück. Gleichzeitig zog sie hinter ihrem Rücken eine zweite Waffe hervor und presste sie an Ninas Schläfe.
    Carsten schrie auf, konnte aber nur hilflos mitansehen, wie Nina von der Frau nach hinten gerissen wurde. Sie taumelten einige Schritte rückwärts und verschwanden hinter einer Säule. Nina stöhnte auf.
    Sandra eröffnete das Feuer. Ihre beiden Pistolen spuckten Kugeln hinunter in die Kirche, über Carsten hinweg und in die Richtung der Frau und ihrer Geisel.
    »Nein!«, schrie Carsten.
    Die Rothaarige erwiderte das Feuer aus der Sicherheit ihrer Deckung. Nina war hinter der Säule nicht zu sehen.
    Carsten wollte vorstürzen, aber Sandra schien die Bewegung zu erahnen.
    »Komm rauf!«,

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