Schweinehunde / Roman
Er arbeitete mit Gleichungen und Algebra statt mit Linien und Kreisen. Ich habe darin immer so etwas wie Betrug gesehen, ich fand das weniger elegant, aber man muss dem Mann zugestehen, dass er damit Erfolg hatte. Immerhin hat er bewiesen, dass das gleichseitige Siebzehneck mit Zirkel und Lineal konstruiert werden kann. Die erste Ergänzung zu den regulären Polygonen seit über zweitausend Jahren.«
»Beeindruckend.«
»Sicher, aber nicht weiter brauchbar, ich kenne nur ein einziges Beispiel, bei dem sein Siebzehneck eine praktische Bedeutung hatte. Wollen Sie es hören?«
»Sehr gerne.«
Die Antwort entsprach der Wahrheit, was nicht selbstverständlich war. Es gab so viele andere, deutlich relevantere Themen, über die er mit dem Hausmeister sprechen musste, aber dennoch wollte Konrad Simonsen seine Geschichte hören. Er konnte sich nicht davon freimachen, eine gewisse Faszination für diesen Mann zu verspüren.
Per Clausen erklärte: »1525 wurden siebzehn Seeleute in Portsmouth vom High Court of Admirality verurteilt, weil sie an Bord der
Mary Rose,
des Flaggschiffs der englischen Flotte, gepfiffen hatten. Für ein derart schweres Verbrechen kannte das Gericht nur eine Strafe, und der Galgen wurde nach Gauß’ Prinzip gebaut, man wollte, dass alle symmetrisch hingen. Es gibt davon noch heute eine Zeichnung, im Seefahrtsmuseum in London.«
»Eine nette Geschichte, sehr plastisch, das muss man Ihnen lassen, und sehr überzeugend, auch wenn ein paar Jahrhunderte fehlen, damit alles zueinanderpasst. Ich glaube, die Pointe aber trotzdem verstanden zu haben. Jetzt kommen Sie gut nach Hause und vergessen Sie unsere Verabredung morgen nicht.«
Der Hausmeister fuhr in einer vagen Geste mit der Hand durch die Luft, als wollte er andeuten, dass diese kleine Zeitverschiebung ja nicht die Welt bedeutete.
»Ein bisschen künstlerische Freiheit wird man sich doch wohl nehmen dürfen.«
Sie gaben sich die Hand, und Per Clausen ging. Er war kaum durch die Tür, als Konrad Simonsen sich eine Zigarette anzündete. Pauline Berg zog einen Unterteller unter einem Blumentopf weg und stellte ihn vor ihren Chef.
Er sah müde aus, und einen Moment lang machte sie sich richtig Sorgen. Dann sagte sie: »Er war deutlich konzentrierter als bei dem Verhör mit der Comtesse und Troulsen.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen.«
»Was sollte das Letzte?«
»Schwer zu sagen. Sein Verhalten wirkt komplett unlogisch, aber wir werden ihn im Laufe der nächsten Tage schon knacken, wir müssen abwarten.«
»Ich meinte diese Geschichte mit dem Galgen – war das nicht ein handfestes Indiz, dass er irgendwas mit diesen Morden zu tun hat?«
»Das war es wohl. Abgesehen davon, dass ich ihn reichlich arrogant und unangenehm provokativ finde, kriege ich noch keinen richtigen Zugang zu diesem Mann, aber das wird schon noch kommen.«
»Vielleicht will er unsere Aufmerksamkeit von irgendetwas ablenken?«
»Tja, wer weiß? Aber die Zeit ist auf unserer Seite, und kontinuierliche, harte Arbeit führt in der Regel zu besseren Resultaten als Vermutungen und Rätselraten.«
Die Bemerkung traf Pauline Berg hart, mit leicht rotem Kopf ließ sie das Thema fallen und sagte stattdessen: »Du wolltest mir noch sagen, warum ich dabei sein sollte.«
Nach außen hin schien Simonsen mehr an den Hausmeister als Tatverdächtigen zu glauben, als er es in Wirklichkeit tat. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ihn gehen zu lassen, aber das Verhalten des Mannes lag außerhalb von Konrad Simonsens Erfahrungsschatz, weshalb er sich zu diesem Schritt entschlossen hatte. Er wollte sich erst noch einige Gedanken machen, doch kaum dass Per Clausen weg war, begannen die Zweifel an ihm zu nagen.
Er schob den Gedanken beiseite und antwortete: »Er hat eine Tochter verloren. Sein einziges Kind. Sie wäre jetzt etwa in deinem Alter. Ich dachte, das könnte vielleicht ein wunder Punkt sein, und dass du … irgendwie als Auslöser fungieren könntest, aber ich habe diese Idee dann wieder fallen gelassen.«
Pauline Berg fühlte sich unwohl.
»Darüber bin ich froh.«
Konrad Simonsen kümmerte sich nicht um ihre Gefühle.
»Wir haben es hier nicht mit Fahrraddiebstahl zu tun. Da ist kein Platz für Gefühlsduselei.«
»Nein, das ist mir klar. Aber es wäre mir einfach unangenehm gewesen. Warum hast du es dann doch nicht gemacht?«
»Ich glaube, er wäre nicht darauf eingestiegen, also gab es keinen Grund. Geh jetzt zu Troulsen und überprüf noch mal, ob die
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