Schweinsgalopp
drehte sich um und übergab sich erneut.
Schnee, dachte Susanne. Jetzt gibt es nur noch Schnee und Wind. Nicht einmal eine Ruine ist übrig.
Sie fühlte eine seltsame Gewißheit: Das Schloß des Schneevaters war nicht einfach verschwunden. Es hatte nie existiert. Deshalb gab es keine Ruine, keine Spuren.
Es war ohnehin ein sonderbarer Ort gewesen: die Heimat des Schneevaters. Das behaupteten jedenfalls die Legenden. Eine komische Sache, wenn man genauer darüber nachdachte. Der Eispalast hatte nicht wie das Heim eines fröhlichen alten Spielzeugherstellers ausgesehen.
Der Wind rauschte in den Bäumen hinter ihnen. Schnee rieselte von den Zweigen. Irgendwo in der Dunkelheit pochten Hufe.
Eine spinnenartige kleine Gestalt sprang von einer Schneewehe und landete auf dem Kopf des o Gottes. Sie sah Susanne aus winzigen Augen an.
»Wenn du gestattest…« Der Kobold holte seinen großen Hammer hervor. »Einige von uns müssen arbeiten, selbst wenn sie metaphorischer, nein, folkloristischer Natur sind.«
»Ach, verschwinde .«
»Wenn du mich für schlimm hältst, warte nur ab, bis du die kleinen rosaroten Elefanten siehst«, sagte der Kobold.
»Ich glaube dir kein Wort.«
»Sie kommen aus seinen Ohren, schwirren um seinen Kopf und zwitschern dabei.«
»Oh, das klingt ganz nach Rotkehlchen«, warf der Rabe in wissendem Tonfall ein. »Und die sind zu allem fähig.«
Gallig stöhnte einmal mehr.
Es widerstrebte Susanne plötzlich, ihn sich selbst zu überlassen. Er war ein Mensch. Zumindest sah er wie ein Mensch aus: Er hatte zwei Arme und zwei Beine. Hier erfror er bestimmt. Götter konnten natürlich gar nicht erfrieren, und das galt vermutlich auch für o Götter. Aber Menschen dachten anders. Unter solchen Umständen überließ man nicht einfach jemanden sich selbst.
Susanne war stolz auf diese normalen Überlegungen.
Außerdem hatte er vielleicht Antworten. Wenn sie dafür sorgen konnte, daß er lange genug wach blieb, um die Fragen zu verstehen.
Vom Rand des verschneiten Waldes sahen ihnen Tieraugen nach.
Waldemar Kaufgut saß auf den feuchten Stufen und schluchzte. Näher kam er der Spielwarenabteilung nicht. Wenn er es versuchte, wurde er von der Menge angehoben, von Strömungen zum Rand getragen und dort abgesetzt.
»Einen wunderschönen Abend, Chef«, sagte jemand. Kaufgut sah kummervoll zu der kleinen, unregelmäßig geformten Gestalt auf, von der die Worte stammten.
»Bist du einer der Kobolde?« fragte er, nachdem er alle anderen Möglichkeiten in Erwägung gezogen und verworfen hatte.
»Nein, Chef, ich bin kein Kobold, Chef, sondern Korporal Nobbs von der Stadtwache. Und dies ist Obergefreiter Besuch, Chef.« Das Geschöpf blickte auf einen Zettel in seiner Pfote. »Bist du Herr Kaufnicht?«
»Kaufgut!«
»Ja, genau. Du hast jemanden zur Wache geschickt, und wir haben uns sofort auf den Weg gemacht, um lobenswert schnell zur Stelle zu sein, Chef«, sagte Korporal Nobbs. »Obgleich das Silvesterfest beginnt und viele seltsame Dinge passieren und normalerweise jetzt unser kleines Silvestergelage stattfindet, Chef. Aber das macht nichts, denn Waschtopf – damit ist Obergefreiter Besuch gemeint, Chef – trinkt nicht, es ist gegen seine Religion, nun, was mich betrifft, ich trinke zwar, aber es ist eben unsere Pflicht, dem Ruf eines in Not geratenen Bürgers zu folgen, Chef.« Nobby salutierte zackig. Besser gesagt: Er salutierte auf eine Art, die er für zackig hielt. Er fügte nicht hinzu: »Da wir für einen reichen Pinkel wie dich ausrücken, dürfen wir sicher mit der einen oder anderen guten Flasche und vielleicht einigen weiteren konkreten Zeichen deiner Dankbarkeit rechnen.« Er brauchte dies auch gar nicht hinzuzufügen, denn seine Haltung wies deutlich darauf hin. Selbst Nobbys Ohren konnten bedeutungsvoll aussehen.
Unglücklicherweise war Waldemar Kaufgut nicht in der richtigen Stimmung, um die subtilen Zeichen zu deuten. Er stand auf und deutete mit zitterndem Zeigefinger zum oberen Ende der Treppe.
»Ich möchte, daß ihr hinaufgeht und ihn verhaftet«, sagte er.
»Wen sollen wir verhaften, Chef?« fragte Korporal Nobbs.
»Den Schneevater!«
»Warum, Chef?«
»Weil er ganz dreist in der Grotte sitzt und Geschenke weggibt!«
Korporal Nobbs dachte darüber nach.
»Du hast nicht zufällig schon auf das Fest angestoßen, Chef?« fragte er hoffnungsvoll.
»Ich trinke nicht!«
»Sehr klug, Chef«, meinte Obergefreiter Besuch. »Alkohol trübt den Glanz der Seele. Ossory,
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