Schweizer Ware
Telefonbuch identifiziert. Den ganzen Vornamen der Sophia tippte er gar nicht mehr aus. Ein Profi halt. »Zimmer 320. Chirurgie.«
Der Kommissar merkte sich die Nummer. Dann fragte er nach einem weiteren Namen. »Bea Maurer?«
Wieder klackte der Automat im Glashäuschen einen Namen in den Computer.
»Maurer Beatrice?«
Baumer dachte kurz nach, ob Bea auch die Abkürzung für einen anderen Frauennamen sein konnte. Deshalb fragte er zur Sicherheit: »Gibt es noch eine andere Bea Maurer?«
»Nein.«
Doch, doch, dachte Baumer. Der Mann gefällt mir. Kein Wort zu viel. Effizient und effektiv zugleich.
»Zimmernummer?«, fragte er knapp. Er wollte der Professionalität des Portiers in nichts nachstehen.
»Frau Beatrice Maurer ist leider verstorben. Am 12. März.«
Kommissar Baumer schwirrte sofort die Erkenntnis durch den Kopf, dass die Beatrice nun nie wieder eine neue Telefonnummer brauchte. Nehmen wir halt einen anderen Namen, war der logische nächste Gedanke. Er blätterte in seinem Buch und fand eine weitere aus dem Kantonsspital. Es war die letzte unter vier durchgestrichenen Nummern. Über der Liste stand »Rosa!«. Nur dieser Vorname, kein Nachname. Baumer nahm an, dass Rosa Helen besonders nahe gestanden hatte. Das Ausrufezeichen stand für endlose Gespräche zwischen zwei ewigen Freundinnen. Es stand für stundenlange gemeinsame Spaziergänge am Rhein. Den ständigen Wettstreit um den schönen Dani, der aussah wie Alain Delon – und sich auch so benahm. Dann endlich die Versöhnung. Den gemeinsamen Abschiedsbrief an den lieben, lieben Dani, den sie kichernd zusammen schrieben und über Vermicelles mit Schlagrahm in Bad Rheinfelden abzuschicken vergaßen.
Baumer sprach dem Portier die Nummer von Rosa! vor. Dieser bat ihn, die Nummer zu wiederholen, und tippte sie dann ein. Schließlich blickte er auf und sagte: »Fritz Wächter.«
»Fritz Wächter? Das kann nicht sein.«
Das war dumm von Baumer. Die personifizierte Neutralität hinter der Scheibe warf dem Kommissar einen brutal bösen Blick zu.
Sofort beeilte sich Baumer zu sagen, »Ich meine … also, ist es möglich …?« Er schaute nochmals in sein Büchlein, um dem finsteren Blick des Portiers zu entgehen. Dann legte er den Kopf schräg und sagte: »Ich habe hier eine Rosa auf der Liste.«
Genau so schnell wie der Automat zu Leben erwacht war, erstarb er wieder. Es war, als hätte man Frankenstein unter Strom gestellt, doch weil eine Sicherung am Generator durchbrannte und die Energiezufuhr stoppte, fiel das erweckte Monster zurück in einen tiefen Schlaf.
Der Mann am Schalter saß eingeknickt auf seinem Stuhl. Nur das klappernde Geräusch der Tastatur zeigte an, dass noch Leben in ihm wohnte. Immer wieder lag eine kurze Pause zwischen seinen Eingaben. Dann endlich fand der Mann, was er zu suchen geheißen worden war.
»Rosa Eger. Jahrgang 27?«
»Ja, das ist sie«, bestätigte Baumer schnell, obwohl er nicht mit letzter Sicherheit wissen konnte, ob das tatsächlich seine Rosa! war. Doch es war sehr wahrscheinlich, das anzunehmen, und das Wahrscheinliche – ganz im Gegensatz zum Unglaublichen – ist meistens wahr.
»Frau Rosa Eger«, antwortete der Automat hinter der Scheibe, »ist verstorben. Am 28. Februar.«
*
Kommissar Baumer ging durch einen langen Spitalflur im dritten Stock. Von drei Adressen, die er in Helen Amadios Telefonbüchlein gefunden hatte, konnte er nur eine einzige Spur – war es eine? – verfolgen. Eine von dreien war wenig. Aber es war besser als eine von vieren, oder eine aus neun. Auf jeden Fall war es erfolgversprechender als null aus unendlich. Eine Information genügt. Oder ein Hinweis. Ein Zeuge. Ein Gerücht. Alles Weitere würde sich ergeben. Es würde sich zusammenfügen, wie Moleküle in der Ursuppe sich spontan zusammenfügten, zu Proteinen und Membranen wurden und diese wieder zu Bakterien. Aus den Bakterien entstanden Einzeller, aus diesen entstanden Vielzeller, wuchsen Tiere, wurden Menschen geboren. Und aus den Menschen wurden Mörder.
Der Kommissar wollte zur Nummer 320. Dort lag Sophia Rüdiger. Das war Baumers Kristallisationspunkt, aus dem sich die ganze Geschichte ergeben würde. Baumer fühlte sich beschwingt. Bald würde der Mord aufgeklärt sein.
Er kam beim Zimmer 308 vorbei. 310. Nur ein paar Schritte mehr und alle Rätsel wären gelöst, und er könnte zurück zu Anna.
312.
314.
Andi Baumer inspizierte die Schildchen an den Türen. Die Patienten wurden nicht mehr wie früher mit
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