Schweizer Ware
gestern fertiggestellt worden. Man hatte alles in einem Aufwasch gemacht. Fingerabdrücke waren genommen worden, es waren nicht allzu viele, und auch ein paar Proben vom Dreck im Teppich. Die Frau schien nur wenig Besuch in ihre gediegene Hütte gelassen zu haben. Vielleicht war es ihr ganz persönliches Refugium, und sie wollte ihr soziales Leben außerhalb der eigenen vier Wände halten. Gro ß bürger gehen durchaus ins post-post-moderne Theater. Zu Hause wollen sie es hingegen sauber.
Baumer versprach sich eh nicht viel von diesen Fingerabdrücken im Haus. Ein kühl berechnender Einbrecher oder ein Mörder, der seine Tat geplant hat, trägt Handschuhe und hinterlässt keine Spuren. Ein Junkie hingegen betatscht alles mit bloßen Händen. Von ihm würde man Fingerabdrücke finden. Aber es war ja kein Drogensüchtiger, der eingedrungen war um sich Geld zu beschaffen. Da war sich Baumer sicher.
Heinzmann ging auf das Buffet zu und zog ein Türchen auf. Er schob seine Mütze zurück. »Hier hatte sie ihre Unterlagen. Finanzen, Steuern, der ganze Gugus.« Der Wachtmeister zeigte auf ein halbes Dutzend Ordner, die wohlgeordnet nebeneinanderstanden.
Baumer war nicht interessiert, die Ordner zu durchwühlen. Die Hypothese eines Erbschleichermords interessierte ihn nicht. Das Motiv lag außerhalb der Familie, war er überzeugt. Die Freundinnen der Amadio wussten vielleicht etwas. Die wollte Baumer ausfindig machen und dann aufsuchen.
»Telefonbüchlein?«, fragte er daher seinen Freund.
»Ja, hier«, drehte sich der Wachtmeister und fasste auf die kleine Ablage des winzigen Beistelltischchens, das scheu neben dem Sofa stand. Es sah aus, als ob es in einer Waschmaschine zu heiß gewaschen worden und eingelaufen wäre. Mit seinen fast kreisrund gebogenen Beinen schien es sich noch winziger machen zu wollen, als es bereits war. Heinzmann nahm das Telefonbüchlein und reichte es Baumer.
»Fingerabdrücke?«, fragte Baumer zur Sicherheit, als er es fasste.
»Nur die von der Amadio.«
Der Kommissar blätterte im Büchlein. Es war schon reichlich speckig vom intensiven Gebrauch. In krakeliger Schrift – fast schien es, als schriebe die Frau noch in antiker Sütterlinschrift – waren Namen und Adressen von Freundinnen notiert. Männernamen kamen kaum drin vor. Männer sterben früh. Sehr alte Frauen kennen nur noch andere alte Frauen – und den Tagesschausprecher.
Baumer war erstaunt über die vielen Adressen im Büchlein. Er selbst kannte insgesamt nicht so viele Leute, wie diese Frau auf einer einzigen Seite ihres Büchleins notiert hatte. Klar. Kunden hatte auch er genug in seinem Berufsleben gehabt. Die meisten davon waren als Nummer in den Ordnern in seinem Büro im Polizeistützpunkt Spiegelhof gelagert. Manchmal begrüßte ihn eine dieser Nummern nach Jahren sogar auf der Straße – wenn er gar nicht mehr ausweichen konnte. Aber Freunde? Dazu brauchte er keine Gedächtnisstütze. Die Handynummer von Stefan Heinzmann kannte er auswendig.
Der Kommissar sah, dass die meisten Bekannten der Amadio aus Basel kamen. Einige Telefonnummern trugen die Vorwahl aus Fribourg in der Westschweiz. Er vermutete, dass Helen Amadio dort in der französischen Schweiz Verwandte haben könnte. Möglich war auch, dass sie als junges Mädchen für ein Jahr dorthin gegangen war, um die französische Sprache zu perfektionieren und eine Dame zu werden, wie es früher üblich war. Vielleicht waren die Fribourger Nummern die Adressen uralter Freunde aus der Jugendzeit. Waren die wichtig? War der Mord etwa eine alte Geschichte, bei der der Mörder, wäre er aufgespürt, aufstehen und Haltung annehmen, dann mit ruhiger Stimme bestätigen würde: »Oui, Monsieur Baumer. Der Mörder, c’est moi!«
Baumer blätterte das Büchlein durch. Etwas erregte seine Aufmerksamkeit.
Heinzmann merkte es. »Hast du was gefunden?«
»Hm.« Baumer legte den rechten Zeigefinger ins Buch.
Bei einigen der Bekannten der toten Rentnerin waren mehrere Telefonnummern angeführt. Die alten waren durchgestrichen und durch neue ersetzt, die ebenfalls wieder durch neue ersetzt worden waren. Es schien, als ob einige der Bekannten von der Amadio einen regen Wohnungswechsel hinter sich hätten. Baumer fiel weiter auf, dass die neuesten Einträge – Basler Nummern – jeweils sehr ähnliche Ziffernfolgen hatten. Der 061 – der Vorwahl für Basel – folgten drei gleiche Ziffern. Es war die 276. Danach folgten jeweils vier unterschiedliche Ziffern.
Baumer verstand
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