Schweizer Ware
Hausdurchsuchung durchzuführen. Doch Baumer spürte in seinen Eingeweiden einfach, dass in dieser Klinik nicht alles mit rechten Dingen zu- und herging. Das galt es aufzuklären. Dafür hatte ihn die Amadio ja auch anrufen wollen, war Baumer überzeugt. Auch sie hatte vielleicht nur einen leisen Verdacht gehabt und noch nichts Konkretes entdeckt. Auf eine Polizeistation war die Rentnerin damit nämlich gar nicht erst gegangen. Bei Gerüchten und bloßen Vermutungen sind den Beamten die Hände gebunden. Das wäre verlorene Zeit gewesen, die zu einer Aktion zu bewegen. Also hatte sie versucht, ihn zu erreichen. Ihn, Kommissar Baumer, von dem sie wusste, dass er keine Geschichte unter den Tisch fallen lässt und keine Angst vor Fettnäpfchen hat.
Baumer zückte sein Handy. Er war sich gewiss, dass er Grund genug hatte weiterzumachen. Seine Strategie war klar, sein Plan sauber entwickelt. Er müsste nur noch ein paar Sachen organisieren. Um telefonieren zu können, blieb er stehen, denn er ging über längere Strecken immer noch an Krücken und konnte nicht gleichzeitig Stock und Handy bedienen. Baumer klickte sich ins D der Adressliste und dort bis zum Eintrag eines guten Freundes.
Dannerbrille.
Unter diesem Namen hatte Baumer die Handynummer von Rolf Danner eingespeichert. Der war Journalist bei der Zürcher Boulevardzeitung Blick und Spezialist für Mordfälle. Sein Markenzeichen war eine übergroße Brille in der Mode der 70-er Jahre. Der Reporter trug sie immer – egal zu welche r Uhrzeit. Sie war satt getönt und schmiegte sich eng an die Rundung der Augenhöhlen. Die Marke? Völlig unbekannt. Wahrscheinlich hatte Danner sie bei einem Besuch in Ostberlin 1984 erstanden. Nur dort gab es zu dieser Zeit, als er ein junger Student war, überhaupt derartige Brillen zu kaufen. Heute sah man solche Modelle bei vielen jungen Leuten. Aber nur Danner würde es auch in fünf, in zehn, ja in allen Jahren tragen. Er sah damit aus wie ein großes, sehr agiles Insekt zumal Danner eine quirlige Person war, immer unterwegs, immer auf dem Sprung.
Baumer ließ sein Handy die Verbindung aufbauen. Es läutete nur kurz, dann nahm Danner ab, und Baumer hörte den Journalisten inmitten eines orkanartigen Lärms ins Handy brüllen.
»Baumi, hey, hallo!«, schrie der Reporter. »Was läuft, Mann?«
Der Kommissar wusste, dass hier ein Gespräch kaum möglich sein würde. Sein Gesprächspartner war entweder in einer Diskothek oder in der Druckerei seines Zeitungsverlages, oder in einer Bierbrauerei an der Abfüllstation, oder beim Start einer Ariane-Rakete. Baumer wollte in gleicher Lautstärke ins Mikrofon schreien, realisierte aber gerade noch, dass er selbst ja nicht in gleichem Maße zu schreien brauchte.
»Ich brauch dich«, erklärte der Kommissar dann doch in ziemlich großer Lautstärke.
Danner brüllte: »Wann? Wo?«
Baumer schrie zurück. »Gegenfrage: Übliche Bedingungen?« Er musste sich vergewissern, ob der Reporter auch in diesem Fall seine Regeln akzeptieren würde. Nähere Informationen würde Danner nur bekommen, wenn er ihm schwor, die Schnauze zu halten, bis der Mörder gefangen wäre.
Das war Danner klar und er brüllte zurück, »Ja, Baumi. Ja, ja, ja!«
Also war alles abgemacht. Der Mann vom Blick war in Baumers Boot. Das war kein Vergnügungsdampfer. Es war ein kleiner Kahn, immer in Gefahr von einer bösen Welle überspült zu werden. Zusammen würden sie mit dieser Nussschale in See stechen, um den schweren Kreuzer von Admiral Freundlieb auf seiner Kaperfahrt zu stellen, vielleicht sogar zu versenken.
Baumer gab dem Mann am anderen Ende der Leitung letzte Anweisungen. »Morgen. Café Fortuna. Neun Uhr.«
»Au, verdammi noch mal. Jetzt geht’s aber rund. Was für eine geile Sache läuft hier?«, brüllte Danner in die Leitung.
»Morgen«, rief Baumer und klickte seinen Kumpel weg. Es war genug gesagt. Um neun am nächsten Tag würde man Nägel mit Köpfen machen.
Dann tat der Kommissar den nächsten Anruf.
»Regazzoni«, meldete sich eine distinguierte Stimme. Baumer schien, als würde das Hüsteln des Gerichtsmediziners, mit dem er sich die Stimme gesäubert hatte, als Echo noch in der Leitung stecken.
»Guten Abend, Professor«, begrüßte ihn der Kommissar.
»Ich bin nur Doktor, Herr Baumer, das wissen Sie doch. Rufen Sie mich deswegen so spät abends an, um mich daran zu erinnern?«
Andreas Baumer musste ein Lachen unterdrücken und konnte nicht verhindern, dass Regazzoni es durch die
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