Schweizer Ware
ein Regierungsrat hier aufkreuzen. Das würde lustig werden.
Zumstein hatte Schläfli angerufen. Schläfli würde kommen. In der Zeit bis zu dessen Eintreffen wurde wenig geredet. Der junge Dorfpolizist hatte es besonders auf Danner abgesehen. Er konnte Journalisten nicht leiden und solche vom Blick schon gar nicht. Also zündete er ihn immer unverhohlener an. Quatschte auf ihn ein, machte sich lustig über ihn.
Der nahm es gelassen. Nun würde er selbst einmal Teil der Show sein. Er hatte es auf die Titelseite bringen wollen. Jetzt würde er es schaffen. Anders natürlich, als er gedacht hatte. Vielleicht würde sogar die NZZ ein paar Zeilen für ihn opfern. Danner machte sich nichts vor. Sein Kredit bei seinem Chef würde ganz schnell ins Minus rutschen.
Regazzoni hatte die ganze Geschichte wohl am meisten mitgenommen. Er wimmerte ohne Ende und bejammerte sein Elend. Die Stiche im Fleisch, die der Stacheldraht verursacht hatte, schmerzten höllisch, aber mehr noch ängstigte ihn der befürchtete Verlust seines Rufes. Ein Ruf, den er sich als Eingewanderter so hart hatte erarbeiten müssen, weil ihm nie etwas geschenkt worden war. Regazzoni war keiner, hinter dem altes Geld stand. Für ihn würde keine gutbezahlte Stabs- oder Direktorenstelle in einer der vielen Institutionen in Basel neu geschaffen, wenn er in seinem Job über die eigenen Füße stolperte oder einfach Pech hatte. Dr. Regazzoni, würden seine Kollegen murmeln, wenn sie den Entlassenen zufällig beim Zeitungsaustragen sehen würden, ehemaliger Gerichtsmediziner und geprüfter Grabschänder – Professor! Beim Gedanken daran jaulte Regazzoni erneut elendiglich, so dass der Gärtner, der sich um ihn gekümmert hatte, sich besorgt vor ihn hinkniete. »Was ist denn, haben Sie starke Schmerzen?« Die freundlich offerierte Fürsorge des ihm Unbekannten traf Regazzoni nur noch empfindlicher, und ein paar Tränen kullerten seine Wangen hinab.
»Na, na? Es ist doch nicht so schlimm«, versuchte der drahtige Gärtner mit den vielen Falten im wettergegerbten Gesicht, den Weinenden zu beruhigen und legte seine Hand auf die Schultern des Mediziners.
Endlich schellte es.
Einer der Wächter ging nach unten. Die Tür wurde geöffnet. Kurz darauf trat Schläfli ins Zimmer. In seinem Schlepptau der hämisch grinsende Rötheli.
Im Raum sprach keiner ein Wort. Alle sahen zum Regierungsrat hin. Jeder erwartete, dass der jetzt sprechen würde, aber Markus Schläfli schaute sich den kunterbunten Haufen zuerst lange und ausgiebig an. Es machte ihm Mühe. Schläflis Augen waren tief umrändert und seine Lider schwer. Auch ein Politiker hat es nicht gerne, inmitten der Nacht aus dem Bett gerüttelt zu werden. Nicht für das hier. Das waren keine zehn Wählerstimmen. Dafür lohnt es sich nicht, eine Nachtschicht einzulegen.
Schließlich trat Schläfli zu Zumstein und streckte ihm seine Hand entgegen. Er lächelte dabei reflexartig sein Politikerlächeln. »Sie müssen Wachtmeister Zumstein sein.«
Zumstein lächelte nicht, sagte brav »Guten Tag, Herr Schläfli«.
»Also, noch einmal. Worum geht es hier genau?«, bat der Regierungsrat um Aufklärung. Er tat es in leisem Ton und mit gequältem Gesichtsausdruck. Er wollte nur mit dem dicken Polizisten reden und wollte vermeiden, mit den anderen überhaupt in Berührung zu kommen, grad so, wie sich ein ungebildeter Tourist in Bangalore verhält, dem auf der Straße ein Leprakranker über den Weg läuft.
»Eine Grabschändung!«, erwiderte Zumstein und schob seine Mütze aus der Stirne. »Sie sollen offenbar die Leitung dieser Aktion haben?«
Markus Schläfli sperrte die müden Augen weit auf. »Was habe ich?«
Baumer hatte sich erhoben, aber noch bevor er etwas sagen konnte, pfurrte ihn Schläfli laut und mächtig an. »Sie sagen mal gar nichts!«
Baumer setzte sich wieder, starrte leer vor sich hin, nippte gelangweilt an seinem Kaffee. Das könnte noch lange dauern, mein Gott. Röthelis triumphierenden Blick nahm er zum Glück nicht wahr.
Der Regierungsrat wandte sich wieder an Zumstein. »Ich weiß von keiner Aktion. Was ist hier eigentlich los? Also?«
Der Dorfpolizist erklärte es ihm in wenigen Sätzen. Schläfli nahm die Geschichte auf, so wie man die Nachricht wahrnimmt, dass ein geliebter Onkel gestorben ist. Das Gesicht wird einem starr. Man atmet in kurzen Zügen. Ab und an presst man ein knappes »Ja« hervor, um dem Sprecher zu zeigen, dass man gehört habe, was geschehen ist.
Während Zumstein
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