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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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erzählte, wimmerte Regazzoni immer wehleidiger. Er hörte aus fremdem Munde noch einmal, was er gesündigt hatte. Das ließ bei ihm die letzten Schranken fallen und alle Schleusen öffneten sich. Der Mediziner fiel in sich zusammen und weinte kümmerlich.
    Danner, der direkt neben ihm saß, tat sein Kumpel leid. Er sprach leise zu ihm und versuchte, ihn zu beruhigen. »Komm, Marco, es wird nicht so schlimm sein.« Er saß zu ihm und legte den Arm um seine Schultern.
    Der Gärtner dachte immer noch, dass es die physischen Schmerzen seien, die den Verarzteten so heulen ließen. Also sagte er, »Wollen Sie ein Aspirin oder vielleicht ein Ponstan?«
    »Ja, nimm ein Schmerzmittel«, flüsterte Danner. »Echte Schweizer Ware. Das tut dir gut.«
    Marco Regazzoni schniefte und fuhr unbewusst mit der nackten Hand unter seiner tropfenden Nase durch. Der »Professor« wimmerte noch ein paar Sekunden. Dann stoppte er unvermittelt sein Wehklagen, zuckte auf, als hätte ihn ein Stromschlag getroffen. Die Augen öffneten sich weit, das Kinn fiel ihm hinunter.
    Danner und der Gärtner erschraken über den Anblick, den der »Professor« bot. Er sah aus, als hinge er noch immer am Strom. Mit irren Augen starrte er in den Raum. Erst langsam begann sein Mund, sich zu bewegen. »Echte Schweizer Ware«, murmelte er, mehr zu sich als zu den anderen.
    Alle Leute im Raum schauten nun Regazzoni an. Der Typ schien völlig zusammenzubrechen.
    »Schweizer Ware, Schweizer Ware«, wiederholte er, und es war, als würde ein Roboter mit starrem Plastikgesicht plappern.
    Plötzlich sprang Regazzoni wie von der Tarantel gestochen auf, japste nach Luft. Sofort stieß er hervor, »Ich hab’s, ich hab’s.« Immer wieder schrie er diese Worte, »Ich hab’s, ich hab’s.« So laut, dass alle im Raum erschraken. Der Mann mit den zerschnittenen Hosen sprang auf und schlug sich mit den bandagierten Händen vergnügt auf die Beine, die er ekstatisch in die Luft warf. Mit seinen Pompons auf den nackten Schenkeln erinnerte er an eine Kreuzung zwischen Harlekin und Revuetänzerin. Regazzoni lachte irr und schrie: »Ja, ja, ich hab’s. Ich hab’s!«
    »Was, was hast du?«, schrie Danner zurück, der aufgesprungen war und sich echte Sorgen um seinen Freund machte.
    »Schweizer Ware! Schweizer Ware!«, rief Regazzoni und schüttelte dessen Oberarme bis er vor Schmerzen – sein Ellbogen! – aufschrie. Was war bloß in den Typen gefahren?
    »Danner, schnell! Deine Kamera!«, rief der Tessiner.
    »Was? Warum brauchst …?«, dem Journalisten versagte die Stimme.
    »Her mit den Bildern, los! Verdammt. Zeig deine Bilder!« Regazzoni schrie dies so herrisch und verzweifelt zugleich, dass keiner wagte, ein Wort zu sprechen. Irgendetwas sehr Wichtiges passierte hier.
    Der perplexe Danner begriff endlich, was Regazzoni wollte. Also nahm er seine Kamera, schaltete sie ein. Er hielt sie dem Mediziner hin, der das Display der Profi-Digitalkamera betrachtete und die Bilder der Leiche der Anita Kägi untersuchte, wie sie nackt und bleich und mit Totenflecken verziert in ihrem Sarg lag.
    »Da, da! Siehst du das«, rief er und zeigte auf das Display. Er wurde immer erregter. »Weiter! Nächstes Bild. Weiter, weiter!«
    Danner klickte für Regazzoni durch die Bilder, die er geschossen hatte.
    »Ja! Ja! Da, schau! Das ist es. Schweizer Ware!«, schrie Regazzoni mit schriller Stimme
    Die anderen begriffen gar nichts mehr. Sie sammelten sich schweigend in einer Traube um Danner, wollten endlich auch sehen, was Regazzoni in Aufruhr versetzte hatte. Gemeinsam starrten sie auf das hinterleuchtete Display und schauten die kleinen Bilder der Anita Kägi an. Vergeblich versuchten sie zu entziffern, was nur das geschulte Auge des Mediziners hatte erkennen können.

15
    Am Abend desselben Tages saßen Baumer und Heinzmann, halb liegend, mit dem Gesäß nur knapp auf der Sitzfläche, todmüde auf Baumers Sofa in der Wohnung an der Hochstraße 31A. Ihre Köpfe lehnten oben auf der Rückenlehne, ihre Beine hatten sie auf das Sofatischchen vor ihnen gelegt. Heinzmann hatte Baumer noch ein Kissen geholt und ihm untergelegt, so dass ihm die Kante des Tischchens nicht ins Fleisch schnitt. Beide waren ausgepowert und lagen schlapp da, als wären sie eben erst aus einer 110-Grad-Sauna gekommen, in der sie viel zu lange geschmort hatten.
    Vor ihnen lief der Fernseher. Es kam »7 vor 7«, das Nachrichtenmagazin des Lokalsenders TeleBasel. Der große Aufmacher der Sendung war eine Razzia, die die

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