Schwelbrand
Augen zugefallen waren. Es waren nur wenige Minuten, die Quede vergönnt waren, als sein DME – der digitale Meldeempfänger – anschlug. Im Halbschlaf tastete er nach dem Swissphone und blinzelte auf das Display.
»Scheiße«, murmelte er und las die vier Zeilen: die Uhrzeit des Alarms, das Kürzel »FEU« für Feuer, die Straße und die Hausnummer des Einsatzortes sowie den Hinweis, wer angefordert wurde. Die Nachricht kam aus der gemeinsamen Regionalleitstelle Nord aus Harrislee, die für die Koordination der Einsätze von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten in den Kreisen Nordfriesland, Schleswig-Flensburg und die Stadt Flensburg zuständig war.
»Was ’n los?«, fragte Tina mit müder Stimme.
»Wir haben einen Einsatz. Schlaf weiter«, sagte Quede, während er aus dem Bett sprang, in die immer bereitliegende Kleidung schlüpfte und zu seinem Auto eilte.
»Na los, komm schon«, fluchte er, als der Mazda nicht sofort ansprang. Dann wischte Quede mit der Hand über die Innenseite der Scheibe, die sofort durch seinen Atem beschlagen war. Bredstedt war seine Geburtsstadt. Er kannte hier jeden Weg und jeden Pfad. Am Toftweg stand in einem Vorgarten ein einsamer Tannenbaum, dessen Kerzen in die dunkle Nacht hineinleuchteten. Am Kreisverkehr mit der Tankstelle und der Filiale der Hamburger-Braterei kreuzte er die sonst stark befahrene Bundesstraße, die Hauptverkehrsader Nordfrieslands, unterquerte die Eisenbahn und war kurz darauf beim Gerätehaus der freiwilligen Feuerwehr, das in einem kleinen Industriegebiet lag.
Bei einer Alarmierung wurde die Beleuchtung automatisch eingeschaltet, und die Tore der siebenständigen Fahrzeughalle wurden automatisch geöffnet. Quede war nicht überrascht, dass das TLF 16/24 – das Tanklöschfahrzeug – bereits unterwegs war. Obwohl er nur wenige Minuten von der Auslösung des Alarms bis zum Eintreffen am Stützpunkt benötigt hatte, war die Truppbesatzung des TLF schneller gewesen.
»Wie macht ihr das eigentlich?«, war Quede einmal gefragt worden. »Schlaft ihr in euren Fahrzeugen?« Er hatte ausweichend geantwortet. Es war nicht seine Art, zu erzählen, dass die Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr mit sehr viel persönlichem Engagement und durch ständiges Üben ihr schwieriges Ehrenamt verrichteten.
»Hast du nicht aus dem Bett gefunden?«, rief ihm ein Kamerad zu, der sich bereits die Einsatzschutzbekleidung geholt hatte, die an Wandhaken hinter den Fahrzeugen hing. Quede riss seine Sachen von der Wand und sprang in die Kabine des LF 16, des wichtigsten Fahrzeugs des Löschzuges. Ihm folgten noch zwei Feuerwehrleute, die zeitgleich mit Quede eingetroffen waren, dann setzte sich das schwere Fahrzeug in Bewegung. Unterwegs legten die Männer des Angriffstrupps ihre Atemschutzausrüstung an.
»Was ’n eigentlich los?«, wollte der Fahrer wissen.
»Keine Ahnung«, antwortete Quede. »Ich weiß nur, dass die Turnhalle der Gemeinschaftsschule brennt.«
»Die in der Süderstraße?«
»Jo, de.«
»Wat denn?«
»Wet ick dat? Ick harr de nich affackelt«, erklärte Quede.
»So ’n Schiet«, kommentierte der Fahrer und konzentrierte sich darauf, das schwere Fahrzeug durch die Stille der Nacht zu lenken. Gespenstisch reflektierten die zuckenden Blaulichter von den Fassaden der dunklen Häuser in der lang gestreckten Süderstraße, an deren Ende die Schule lag.
Trotz der späten Stunde hatten sich die ersten Schaulustigen eingefunden und bevölkerten den Zaun, der das Schulgelände zum kleinen Busbahnhof vor dem Areal abgrenzte und die Schüler daran hindern sollte, in Massen vor die Fahrzeuge zu laufen.
Der Fahrer lenkte das Löschfahrzeug durch die Feuerwehrzufahrt und die Schräge, die für Rettungseinsätze wie diesen frei gehalten wurden. Die Treppenstufen, die sonst in Breite zum Schulhof und dem Basketballfeld führten, wären für die Fahrzeuge nicht passierbar gewesen. Es gab eine schmale Durchfahrt am rechts liegenden Flügel der Schule vorbei. Im rechten Winkel schloss sich daran ein Querblock an, in dessen Fortsetzung die Turnhalle angebaut war.
Vom Dach der Turnhalle schlugen helle Flammen in den Nachthimmel. Es sah aus, als würde es an mehreren Stellen brennen, nein!, es brannte in voller Ausdehnung. Die Truppmänner des Tanklöschfahrzeugs hatten schon die Schadensbekämpfung am Einsatzort eingeleitet und begonnen, einen Schlauch zum nächsten Hydranten zu legen. Von dort wurde eine Verbindung zum Fahrzeug mit seiner Hochleistungspumpe geschaffen.
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