Schwelbrand
ermordet worden war.
Lüder konnte sein Erschrecken nicht verbergen. Große Jäger, der auf dem Beifahrersitz hockte, hatte es bemerkt.
»Das ist mehr als mysteriös, was sich derzeit bei uns abspielt«, sagte er. »Das Schlimmste daran ist das Gefühl der Ohnmacht. Wir wissen nichts über die Hintergründe der Taten. Niemand hat sich bisher dazu bekannt. Wer sind die Täter? Was wollen sie? Außer den rätselhaften Bekennerschreiben mit dem halben Landeswappen gibt es keine Hinweise. Was meinen die mit ›Es reicht‹?«
»Das ist unser Problem«, sagte Lüder und konzentrierte sich wieder auf den morgendlichen Berufsverkehr. »Außerdem ist nicht gesagt, dass der Mord an dem Landtagsabgeordneten mit unserem Fall zusammenhängt.« Er zeigte auf das Autoradio. »Niemand hat etwas von einem Bekennerschreiben gesagt.« Aus den Augenwinkeln sah er, wie ihm Große Jäger einen skeptischen Blick zuwarf. »Okay. So viele Merkwürdigkeiten gibt es nicht. Wenn irgendjemand Karl-Hermann Claussen ermorden wollte, so legt er ihn nicht dekorativ vor das Studio des NDR.«
»Eben«, stimmte Große Jäger zu.
Sie hatten sich auf dem Weg einen Stapel Zeitungen besorgt. Während Lüder in seinem Büro den Rechner hochfuhr, war Große Jäger ins Geschäftszimmer zu Edith Beyer verschwunden und tauchte kurz darauf mit zwei Bechern mit dampfendem Kaffee auf.
»Und?«, fragte er und nickte in Richtung des Zeitungsstapels.
Lüder drückte ihm wortlos die erste Zeitung in die Hand. Er selbst suchte sich das Boulevardblatt heraus.
»Wer ist der Nächste?«, stand dort in großen Lettern auf der Titelseite. Etwas kleiner darunter las Lüder: »Es kann jeden von uns treffen – Die Angst geht um.« Der Name Ditterts prangte direkt unter der Überschrift. Lüder knurrte laut und vernehmlich seinen Unmut heraus.
»Mediendemokratie! Oder muss man es manchmal schon Mediendiktatur nennen, wenn man an bestimmte Presseorgane denkt?«, fragte er laut.
»Damit muss man leben«, antwortete Große Jäger, der in den Kieler Nachrichten las und die Zeitung ein wenig in die Höhe hob. »Die hier schreiben auch über die Vorfälle und stellen kritische Fragen. Das ist nicht verwunderlich. Es werden aber keine noch so geschickt verpackten Mutmaßungen angestellt wie in Ihrem Blatt.«
»Meinem Blatt?« Lüder raschelte mit dem Papier. »Dagegen verwahre ich mich entschieden. »Hier steht rechtssicher mit kleinen Fragezeichen verpackt, die der Leser aber geflissentlich übersieht, dass der Staat ohnmächtig ist und die Fäden nicht mehr in Händen hält. Nach Ditterts Meinung müssen wir uns um unsere Kinder sorgen, weil die Schulen nicht mehr sicher sind. Siehe Bredstedt. Das Finanzsystem bricht zusammen, weil die Beamten sich weigern, zum Dienst zu erscheinen, und um ihr Leben zittern. Siehe Leck.« Lüder sah auf. »Das Schlimme ist, dass Dittert recht behält, wenn seine Tiraden greifen. Stell dir vor, nur zehn Prozent unserer Finanzverwaltung würden nicht mehr funktionsfähig sein. Dann wäre der Staat wirtschaftlich getroffen. Das gilt auch für alle anderen Bereiche des öffentlichen Lebens, für unsere Verwaltung. Weiter heißt es«, dabei senkte Lüder wieder den Blick in die Zeitung, »dass auch das staatliche Gewaltmonopol ins Wanken gerät, weil unsere Polizei Angst hat, auf die Straße zu gehen.«
Große Jäger sah auf. »Ist das wahr? Der kann sie doch nicht mehr alle beisammenhaben. Wer hat jemals gehört, dass die Polizei oder andere Einsatzkräfte kneifen würden? Niemand begibt sich sehenden Auges in Lebensgefahr, aber trotzdem stellen sich die Kolleginnen und Kollegen jeden Tag erneut dem Risiko, das mit diesem Beruf verbunden ist. Das trifft auch auf den Rettungsdienst oder die Leute der Feuerwehr zu, viele davon sogar freiwillig. Nee, was für ein Schmierfink.« Entrüstet schüttelte der Oberkommissar den Kopf.
Lüder nahm die Schleswiger Nachrichten zur Hand. Hier war die Berichterstattung die gleiche wie in den vierzehn anderen Zeitungen des Verlages, zumindest im überregionalen Teil.
»Steht bei dir etwas über den Anschlag auf das Haus des Ministerpräsidenten?«, fragte Lüder.
Große Jäger nickte. »Ja, aber ich hab es noch nicht gelesen.«
»Heute Nacht ist jemand mit einer Axt bis zum einsam gelegenen ehemaligen Forsthaus vorgedrungen, in dem der Regierungschef wohnt, und hat den Ministerpräsidenten aus dem Schlaf geklingelt. Dann hat der Unbekannte mit einer Axt auf das Garagentor eingeschlagen und Lampen und
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