Schwelbrand
Das wollen wir gern beibehalten. Was hat das mit religiöser Toleranz zu tun? Was heißt hier Toleranz? Zollt uns die Gegenseite Toleranz? Was hat der Bundespräsident in der Türkei gesagt? Die sollen den dortigen Christen mehr Freiheiten geben.«
»Nun interpretieren Sie unseren Präsidenten nicht falsch«, schimpfte Lüder. »Der hat mit keiner Silbe von Rassenwahn und Verfolgung Andersgläubiger gesprochen. Bei uns hat jeder das Recht, seinen Glauben auszuüben, mag er auch noch so obskur sein wie Ihrer, aber Gewalt, sei es die Aufforderung dazu oder die Anwendung, das gehört hier nicht her. Und Mord schon gar nicht.«
»Mord? Ja, sind Sie denn komplett übergeschnappt? Wer spricht hier von Mord?«
»Ich«, sagte Lüder betont ruhig. »Mehrfachem Mord. Da wird nicht nur der ausführende Täter bestraft, sondern auch derjenige, der aus dem Hintergrund den Auftrag erteilt hat.«
Berchelmann brach in ein schrilles Gelächter aus. »Und das soll ich sein? Ich? Wir, unsere Gemeinde? Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?«
»Alle Spuren führen hierher«, sagte Lüder.
»Nur weil Heinrich Frosinn zu uns gehört?«
»Wie ist er eigentlich zu Ihnen gekommen?«, fragte Lüder.
Berchelmann legte die Hände wie zum Gebet zusammen und sah zum Himmel. Auf Lüder wirkte diese Geste nur lächerlich, hier und auf diese Frage.
»Eine verlorene Seele hat den Weg zu Gott gefunden«, sagte Berchelmann, und es sollte salbungsvoll klingen.
»Ja – wie?«, mischte sich Große Jäger ein. »Steht an der Bundesstraße nach Kappeln ein Schild ›Hier geht’s zu Gott. Drei Kilometer‹?« Große Jäger schnaufte verächtlich durch die Nase. »Zumindest zu dem, was Sie sich unter Gott vorstellen. Der hat nicht viel gemeinsam mit dem, was die Mehrheit der Menschen glaubt.«
»Gott vergibt auch dir, mein Sohn«, sagte Berchelmann.
»Ich bin nicht dein Sohn. Gott sei Dank. Sonst hätte ich handfest gegen das vierte Gebot verstoßen«, schimpfte Große Jäger.
»Also, wie ist Frosinn zu Ihnen gestoßen?«, erinnerte er an die Frage.
»Eines Tages stand er vor der Tür. Gott vergibt dem größten Sünder. Auch wenn unser Bruder Heinrich nicht frei von Unrecht ist –«
»Einfach so?«, unterbrach ihn Große Jäger. »Hat er sich verfahren?«
»Wir fragen nicht, welche Erleuchtung die Menschen auf den richtigen Pfad führt.«
Lüder sah Berchelmann zweifelnd an. War der Mann wirklich von dem überzeugt, was er von sich gab? Oder spielte er seine Rolle so exzellent, dass man glauben könnte, er stehe wirklich hinter dem, was er sagte?
Sie wurden durch das Klingeln von Große Jägers Handy unterbrochen. »Mommsen«, erklärte der Oberkommissar zu Lüder gewandt. »Moment«, sagte er, zückte sein zerschlissenes Notizbuch und notierte sich etwas. Nachdem er das Gespräch beendet hatte, grinste er Berchelmann an.
»Ihr Bruder Heinrich ist ein seltsamer Heiliger. Mir scheint, der ist eher ein Bruder Lustig und macht seinem Zunamen alle Ehre. Wissen Sie, wo er jetzt steckt?«
Berchelmann sah ratlos aus und schüttelte den Kopf.
»Bei einer Nutte.«
»Oh Gott«, stammelte Hans-Jörg Berchelmann und versenkte sein Gesicht in die Handflächen. »Wie verkommen können Menschen sein.«
»Na ja«, sagte Große Jäger und zeigte dabei seine nikotingelben Zähne. »So schlimm ist das nun auch wieder nicht. Ohne Bumsen gäbe es keinen Nachschub, auch nicht für Ihre Truppe hier.« Dabei ließ er seinen ausgestreckten Arm kreisen.
Wenig später saßen sie wieder im Auto.
»Was heißt das ›Frosinn ist bei einer Prostituiertem?«, fragte Lüder.
»Der weiße Mercedes«, antwortete Große Jäger. »Davon gibt es natürlich mehrere in Flensburg. Aber auf eine Halterin passt das Profil. Walburga Sterkowski, wohnhaft in der Toosbüystraße, ein bisschen den Berg hinauf Richtung Burgplatz. Die Dame ist uns als freischaffende Künstlerin im horizontalen Gewerbe bekannt. Es gab zwei Anzeigen, aber die Verfahren wurden jeweils eingestellt. Das eine war ein Beischlafdiebstahl, das zweite eine handfeste Auseinandersetzung im Gewerbe.«
»Rauschmitteldelikte?«, fragte Lüder.
Große Jäger schüttelte den Kopf. »Nicht bekannt.«
»Und die anderen Halter des Wagentyps?«
»Offenbar alles seriöse Adressen«, sagte Große Jäger.
»Hasan Kutulus hat auch eine biedere Adresse in Laboe«, erinnerte Lüder.
»Gut«, stimmte Große Jäger zu. »Aber manchmal muss man sich auch auf die Intuition verlassen.« Er strich sich über die
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