Schwelbrand
Bruder.«
»Seinem Bruder?«, fragte Große Jäger erstaunt. Davon hatten die Beamten noch nichts gehört.
»Na, der Heini.«
»Sie meinen Heinrich Frosinn, seinen Cousin?«
»Nix Cousin. Das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern. Das weiß hier jeder. Der alte Hundt hat doch seine Schwägerin quergelegt. Der hat das doch bei allen Frauen versucht. Alfred Hundt und Heinrich Frosinn sind Brüder. Halbbrüder. Ganz bestimmt.«
»Das ist Gerede«, gab Große Jäger zu bedenken.
»Von wegen. Hier wohnen anständige Leute, auch wenn nicht viel verborgen bleibt. Darum. Wenn der alte Hundt besoffen war, und das war er fast immer, dann war es besser, wenn die Frauen sich eingeschlossen hatten. Wo sollte seine Schwägerin denn hin? Die hatte doch Gnadenbrot auf dem Hof. Die war doch darauf angewiesen. Also hat sie das über sich ergehen lassen. War ja sonst ’ne nette Dirn. Nicht hübsch. Drum hat sie auch kein anderen abgekriegt. Und in der Nacht, da sind alle Katzen grau. Also, da hat der alte Hundt –«
»Danke«, unterbrach Große Jäger den Redefluss des Alten. »Was hat der Frosinn denn so verzapft?«
»Der? Nur Mist. Der hat sich geprügelt, hat geklaut. Den haben sie öfter erwischt, wie er irgendwo im Dorf eingestiegen ist. Ist man ganz gut, dass er tot ist. Ich mein, der alte Hundt.« Der Mann schüttelte den Kopf. »Schade um Alfred. Ist ein feiner Kerl. Nicht der Hellste«, dabei tippte er sich gegen die Stirn, »aber sonst … Ich will dann mal«, sagte der alte Mann plötzlich und wandte sich ab.
»Nun haben wir eine Menge über Frosinns Charakter gehört«, stellte Große Jäger fest, als sie wieder im Auto saßen. »Wenn es stimmt, dass er und Alfred Hundt Halbbrüder sind, mögen ihm manche Leute im Dorf arg zugesetzt haben. So entstehen kriminelle Karrieren.«
»Die Leute denken sich nichts dabei. Das ist keine Bösartigkeit, sondern oftmals nur Gedankenlosigkeit«, stimmte Lüder zu. »Und wenn die Betroffenen sich nicht in sich zurückziehen, dann prügeln sie sich eben durch das Dorf. Das ist eindrucksvoll in einem Song von Johnny Cash besungen worden.«
Lüder bemerkte aus den Augenwinkeln, dass Große Jäger ihn fragend ansah. »›A Boy named Sue‹, heißt der Song. Da beklagt sich ein Mann, dass ihm sein Vater, der sich gleich nach der Geburt aus dem Staub gemacht hat, einen Mädchennamen mitgegeben hat. Ständig muss sich der Mann namens Sue zur Wehr setzen und die Spötter in die Schranken weisen. So sucht er seinen Vater, der ihm das angetan hat. Als er ihn endlich findet, ziemlich kraftlos und am Ende, macht er ihm Vorwürfe. ›Ich hatte sonst nichts für dich. So habe ich dich Sue genannt. Und damit hast du gelernt, dich durchzusetzen, hat ihm der Alte erklärt. Eigentlich ein weiser Entschluss.«
Große Jäger seufzte. »Nur dass unser ›Sue‹ auf die schiefe Bahn geraten ist.«
»Die Täter – oder zumindest einer von ihnen – müssen über gute Ortskenntnisse verfügen. Ohne die hätte man nicht die Brücke ausgewählt, an der unser Kollege ermordet wurde. Das ist kein Zufall. Den richtigen Zeitpunkt zu wählen, dazu musste man nur in den Fahrplan sehen«, sagte Lüder.
Große Jäger sah aus dem Fenster. »Da stimme ich Ihnen zu. Wohin jetzt?«
»Zu den Hinterbliebenen des Landtagsabgeordneten. Vorher fahren wir aber noch einmal bei dieser merkwürdigen Kirche vorbei.«
Der Oberkommissar knurrte etwas Unverständliches und angelte sein Handy aus den Tiefen seiner schmuddeligen Jeans.
»Ich rufe in Husum an«, erklärte er, und kurz darauf sagte er: »Moin, Harm. Wir suchen einen weißen Mercedes, Cabrio, aus Flensburg. Möglicherweise auf eine Frau zugelassen.«
Für einen Moment schwieg Große Jäger. »Ich weiß, das ist sehr vage. ›Nuttenauto‹, hat unser Informant gesagt. Ich weiß, davon verstehst du nichts. Trotzdem. Wenn es jemand herausfindet, dann du.« Dann fragte er, ob es Neues aus Husum gebe.
»Nichts«, erklärte Große Jäger, nachdem er das Gespräch beendet hatte. »Die Ermittlungen nach dem Nylonseil, mit dem Asmussen von der Brücke herabgelassen worden ist, sind bisher ergebnislos verlaufen. Wir wissen, dass es ein gängiges Produkt ist, das in jedem Baumarkt erhältlich ist. Die Kunden schneiden es in Selbstbedienung von der Rolle und zahlen an der Kasse. Da erinnert sich niemand, wer das gekauft hat. Fehlanzeige.«
Kurz darauf meldete sich Lüders Handy. Er nahm das Gespräch über die Freisprecheinrichtung an.
»Möhlmann«, meldete
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