Schwelbrand
Lederweste, die sich deutlich vorwölbte. »Wenn nicht ich … Wer sollte dann ein ausgeprägtes Bauchgefühl haben?«
Insgeheim pflichtete Lüder dem Oberkommissar bei. Wenn man sich nicht gelegentlich auf die Erfahrungen verlassen würde, käme man kaum im Wust der vielen Spuren zurecht.
»Wo wohnt Karl-Hermann Claussen?«, fragte Lüder.
Große Jäger griff zu seinem Handy und erfragte die Adresse in Husum.
»Wenn wir schon in Schleswig sind, sollten wir uns bei der Familie vergewissern, dass wirklich keine anderen Motive vorliegen.«
»Wie war das mit der Intuition?«, knurrte Große Jäger leise.
Karl-Hermann Claussen wohnte am Galgenredder.
»Das klingt in diesem Zusammenhang sehr makaber«, stellte Große Jäger fest.
Vor der Tür standen mehrere Fahrzeuge. Eine ältere Frau im schwarzen Pullover öffnete ihnen. Sie stellte sich als die Schwägerin des Opfers vor. Die Spuren der Ereignisse hatten sich in ihr Antlitz gegraben. Sie sah übernächtigt aus.
»Kommen Sie bitte mit durch«, bat sie die Beamten. »Ich komme aus Rotenburg an der Wümme und bin dort Lehrerin.«
Lüder warf instinktiv einen Blick auf ihre rechte Hand und den goldenen Ehering. »Hannelore Schrader ist mein Name. Dorothee und ich sind Schwestern. Wir sind geborene Peters.«
Sie bot den Beamten Platz im Wohnzimmer an. »Soll ich einen Kaffee aufsetzen?«, fragte sie. »Oder lieber einen Tee? Ich glaube, ein Kaffee bekommt mir nicht.«
Lüder lehnte dankend ab.
Frau Schrader setzte sich auf einen Sessel, ohne sich anzulehnen. Mit einer Hand strich sie den Rock glatt. »Es ist furchtbar«, sagte sie mit leiser Stimme. »Warum?, fragt man sich. Karl-Hermann hat niemandem etwas zuleide getan.«
»Können wir mit seiner Frau sprechen?«, fragte Lüder.
»Ausgeschlossen. Meine Schwester ist gesundheitlich stark angeschlagen. Und dann das jetzt. Nein!« Sie schüttelte energisch den Kopf.
Alle drei blickten auf, als ein Mann, Lüder schätzte ihn auf Anfang fünfzig, den Raum betrat.
»Müller«, stellte er sich vor.
»Der Kreispräsident«, erklärte Frau Schrader.
»Ich bin sozusagen ein Freund der Familie«, erklärte Müller.
»Karl-Hermann und ich kannten uns ewig durch die gemeinsame politische Arbeit. Das ist unfassbar.«
»Könnten Sie sich vorstellen, dass das Motiv für die Tat in seiner Arbeit begründet ist?«, fragte Lüder.
»Mit Sicherheit nicht«, antwortete der Kreispräsident. »Er war ein ruhiger, aber engagierter Politiker, der sich für seine Sachen eingesetzt hat. Es ging ihm stets um das Wohl der Menschen, die ihm durch ihr Votum Vertrauen gezeigt hatten. Er war ein stiller, aber solider Arbeiter.«
Lüder räusperte sich. »Wir müssen das fragen«, schob er entschuldigend vorweg. »Aber könnte es Gründe aus dem privaten Bereich geben?«
»Karl-Hermann hatte nur seine Politik. Und die wollte er nach der Legislaturperiode auch an den Nagel hängen. Er hatte vor, sich ganz um seine Frau zu kümmern«, erklärte der Kreispräsident. »Nein. Claussen hatte keine Feinde.«
»Hat es Drohungen gegeben?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Wer sollte einen Landtagsabgeordneten verfolgen? Nennen Sie mir einen Grund.«
Das fragte sich Lüder auch. Er wäre weiter in seinen Ermittlungen, wenn sich ein Motiv abzeichnen würde.
»Sind Ihnen in der letzten Zeit Leute aufgefallen, die das Haus beobachtet haben? Unbekannte, die sich in der Gegend herumgedrückt haben?«
Der Kreispräsident und Frau Schrader wechselten einen raschen Blick. »Dazu können wir natürlich nichts sagen. Aber vorstellen …?« Müller schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht.« Er knetete seine Hände, dass die Gelenke knackten. »Am Sonntagabend haben wir in der Stampfmühle in Schleswig zusammengesessen und –«
»Um was ging es da?«, hakte Lüder ein.
Der Kreispräsident zog die Stirn kraus, als müsse er überlegen. »Wir wollten, dass Karl-Hermann in Kiel vorstellig wird. Er sollte versuchen, ob es nicht Möglichkeiten gibt, zusätzliche Mittel für Infrastrukturmaßnahmen zu beschaffen. Die Schulen sind marode, die Straßen müssen geflickt werden, und der gesamte kulturelle Bereich geht am Krückstock.«
»Das ist ein Problem, das das ganze Land betrifft«, warf Lüder ein.
»Richtig. Andererseits versucht natürlich auch jeder Kreis und jede Gemeinde, das Beste für sich herauszuholen. Das ist doch legitim, oder?«
»Das leidige Geld«, sagte Große Jäger.
Der Kreispräsident nickte. »Die Bürger
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