Schwelbrand
Notlüge griff, als sie mit dem Alltag seines Berufs zu konfrontieren.
Als Margit und Lüder ins Obergeschoss in ihr Schlafzimmer kamen, hatten sich dort unbemerkt bereits Sinje und Jonas breitgemacht. Mit vereinten Kräften hatten sie die Kinder ein wenig zur Seite geschoben, was Jonas im Halbschlaf mit einem Knurren quittiert hatte, um sogleich wieder mehr Platz für sich zu okkupieren.
»Das hat doch seinen Charme«, hatte Margit festgestellt. »Wie lange ist es her, dass wir uns auf so engem Raum aneinandergekuschelt haben?«
Nun saß Lüder wieder im Landeskriminalamt.
Seine erste Tätigkeit war ein Anruf in Flensburg.
»Nein«, erklärte ihm ein Mitarbeiter des Kl, »der verdächtige Heinrich Frosinn schweigt beharrlich. Er hat bisher nichts gesagt, geschweige denn ein Geständnis abgelegt.«
»Hat er nach einem Anwalt gefragt?«, erkundigte sich Lüder.
»Merkwürdigerweise nicht. Er sitzt da und schweigt.«
Anschließend widmete sich Lüder in gewohnter Weise der Auswertung der Zeitungen.
Natürlich hatte LSD das Thema erneut ausgeschlachtet, stellte Lüder mit Widerwillen fest. »Die Angst geht um – überall«, war der Artikel überschrieben. Die Behördenmitarbeiter würden sich weigern, ihre Dienststellen aufzusuchen, die Eltern behielten ihre Kinder zu Hause, die Unternehmen würden darüber klagen, dass »niemand mehr am Arbeitsplatz erscheint«. Das alles entsprach nicht den Tatsachen, aber Dittert verstand es, seine Artikel so zu verfassen, dass man ihm keine Lügen vorwerfen konnte. Die kleinen Fragezeichen hinter den Schlagzeilen übersah der Leser einfach. Wer nicht direkt zu den Betroffenen gehörte, wurde über die Sorge um den Arbeitsplatz angesprochen.
Doch damit gab sich Dittert nicht zufrieden. »Was kommt als Nächstes?«, fragte er. »Haben es die Täter jetzt auf die Brücken über den Nord-Ostsee-Kanal abgesehen? Können wir uns noch auf die Straße oder Schiene wagen? Unsere Lebensadern werden zerschnitten.«
Nichts davon war wahr.
»Mit keiner Silbe hat Dittert erwähnt, dass wir einen mutmaßlichen Verdächtigen geschnappt haben«, schimpfte Lüder.
»Hat er es noch nicht erfahren?«
»Natürlich. Die anderen Zeitungen haben es gebracht, und im Rundfunk wird es stündlich in den Nachrichten gesendet. Wenn Dittert diese Information verwendet hätte, wäre seine ganze andere Story hinfällig gewesen.«
Zornig stand er auf und kehrte nach einer Weile mit einer großen Landkarte von Schleswig-Holstein zurück, die er an die Wand seines Büros pinnte.
Da er keine Nadeln gefunden hatte, die außerdem nicht in der Wand gehalten hätten, hatte er kleine farbige Punkte auf die Karte geklebt. Aufmerksam betrachtete Große Jäger das Ergebnis.
»Das ist eine interessante Erkenntnis«, sagte Lüder und war nicht überrascht, dass der Oberkommissar ohne weitere Erklärungen zu dem gleichen Resultat gekommen war.
»Die blauen Punkte … Das sind Trittbrettfahrer, die entweder Krawall machen wollten oder ihrem Unmut über dies oder jenes freien Lauf gelassen haben.«
»Die blauen Punkte sind unvollständig«, erklärte Lüder. »Ich habe es aufgegeben, nachdem ich gesehen habe, dass sie sich über ganz Schleswig-Holstein erstrecken.«
»Aber die roten Punkte«, fuhr Große Jäger fort und kratzte sich vernehmlich die Bartstoppeln. »Das sind die Tatorte, die wir mit hoher Wahrscheinlichkeit unseren Tätern zuschreiben können.«
»Was fällt dir daran auf?«, fragte Lüder.
»Ist doch klar. Die liegen alle im Landesteil Schleswig, also vor dem Bindestrich.«
»Gut«, sagte Lüder in übertrieben freundlicher Tonlage. »Du hast in Geografie aufgepasst.«
»Eigentlich nicht«, erwiderte der Oberkommissar. »Ich habe mir eingeprägt, wo Nordfriesland aufhört, damit ich ja nicht Aufgaben übernehme, die nicht in meinen Zuständigkeitsbereich gehören.«
»Und was machst du in diesem Fall?«, lästerte Lüder.
»Och, das ist Hobby.«
»Die roten Punkte sind aber nicht nur in Nordfriesland«, fuhr Lüder fort.
»Schon, aber keiner liegt außerhalb des Schleswiger Landesteils.«
»Das ist die Region, in der die dänische Minderheit wohnt. Wenn es dort einige wenige Fanatiker gibt, die den Anschluss an das Königreich suchen, hätten wir ein Motiv.«
»Abtrünnige? Separatisten? Aber warum?«, fragte Große Jäger. »Das klingt so unwahrscheinlich. Und wenn, dann sind es nur einige wenige. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich dort eine größere Anhängerschaft für
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