Schwert und Laute

eine weniger gute Zielscheibe ab.«
    »Eine weniger gute Zielscheibe...?«, stotterte ich.
    Langsam ging mir auf, was er meinte, und ich fühlte Entsetzen in mir aufsteigen. Auf der Suche nach den Angreifern, von denen ich wusste, dass sie dort lauerten, ließ ich den Blick über den Wald gleiten. Wie viele es wohl waren? Ein Krachen erscholl, und in meiner Nähe schlug eine Kugel in eine der Kisten ein. Ein entsetzter Schrei entfuhr mir, und ich warf mich auf den Boden und krallte die Fingernägel in die feuchte Erde, die auch in meine Nasenlöcher drang. Wenn das nicht die Garde war, mit wem hatten wir es dann zu tun?
    Auf die Detonation war eine schreckliche Stille gefolgt. Ich wandte den Kopf zur Seite. Liam und seine Männer, die sich nicht gerührt hatten, bildeten einen Wall rund um ihre wertvolle Fracht,
zu der jetzt auch ich gehörte. Langsam wurde es Tag, und in der grauen Morgendämmerung zeichneten die Baumkronen sich deutlich vor dem Himmel ab. Hinter einem Busch erhaschte ich eine flüchtige Bewegung. Etwas blitzte kurz auf. Eine Klinge? Der Gegenstand kam zur Ruhe und verharrte unbeweglich. Da begriff ich, dass es sich um eine Pistole handelte.
    »Da hinten!«, schrie ich.
    Ein zweiter Schuss, der zum Glück keinerlei Schaden anrichtete, gab das Signal zum Angriff. Die Männer stürzten wie wilde Tiere, die man losgelassen hat, auf den Wald zu, aus dem die Angreifer kamen, die ebenso zottig aussahen. Das Gesicht in meinem Umhang verborgen, kniff ich die Augen zu, biss die Zähne zusammen und betete lautlos. Der Kampflärm erfüllte mich mit solcher Angst, dass mir ganz übel wurde. Plötzlich fühlte ich, wie mich jemand schnappte und ohne Umstände davonschleppte, und ich begann zu schreien. Der grauenhafte Gestank, der von meinem Entführer ausging, verriet mir, dass es sich weder um Liam noch um Colin handelte. Der Mann zerrte mich hinter sich her in den Wald, und ich hatte gerade noch Zeit, die vor Wut verzerrten Gesichter der Macdonald-Brüder zu sehen, die unsere Verfolgung aufnahmen. Sie endete abrupt auf der Anhöhe, auf die ich mich zuvor geflüchtet und wo ich in Colins schützenden Armen gelegen hatte.
    Offensichtlich sollte ich als eine Art Faustpfand dienen. Die beiden Brüder blieben wie erstarrt stehen, als sie den langen Dolch erblickten, der sich drohend auf meinen Leib richtete.
    »Die Waffen gegen das Mädchen, Macdonald!«, brüllte der Mann, der mich verschleppt hatte.
    »Schlagt Euch wie ein Mann, Campbell«, zischte Colin. »Wenn Ihr die Ladung wollt, kommt sie Euch holen, und lasst das Mädchen los.«
    Ein zynisches Lachen hallte mir unangenehm in den Ohren.
    »Die Waffen gegen das Mädchen. Das ist mein letztes Angebot. Ruft Eure Männer zurück. Ich debattiere nicht.«
    Ich riss die Augen auf und öffnete den Mund, um zu schreien, doch nur ein schwaches Ächzen drang hervor. Dann, als Campbell die stählerne Spitze des Dolchs wieder aus meinem Schenkel
zog, spürte ich, wie meine Knie nachgaben. Der Mann hielt mich fest und hinderte mich daran, zu seinen Füßen zusammenzusinken. Nach Luft schnappend schlug ich die Augen zu den beiden Männern auf, die uns gegenüberstanden. Das Blut war ihnen aus den Gesichtern gewichen. Einen Moment lang glaubte ich, Raben schreien zu hören. Dann atmete ich hörbar aus und stöhnte endlich vor Schmerz. Liam, der mich unverwandt ansah, war bleich geworden und stieß einen gellenden Pfiff aus.
    »Ich scherze nicht, Macdonald. Sie ist ziemlich hübsch, und ich muss zugeben, dass es mir in der Seele wehtäte, sie zu beschädigen; aber meine Geschäfte zwingen mich dazu. Wenn Ihr rasch entscheidet, wird sie sich wieder erholen.«
    »Dann nehmt die Ladung«, stieß Liam scharf hervor.
    Der Mann quittierte seine Niederlage mit einem höhnischen Auflachen. Dann herrschte er mich an, ich solle mich aufrichten. Ich fand mich mit der Nase in dem groben Stoff seines Plaids wieder, dessen Tartan dunkler war als das Stoffmuster der Macdonalds. Eine Brosche glänzte matt. Ich sah sie einen Moment lang an, um mich von meinem Schmerz abzulenken. Ne obliviscaris , du sollst nicht vergessen. Eine Devise? Eine kalte Klinge, die mir an die Kehle gesetzt wurde, schreckte mich aus meinen Gedanken. Liam und Colin wichen einen Schritt zurück. Im Wald war es wieder still geworden.
    »Alex!«, brüllte Campbell.
    Ein Schrei antwortete ihm.
    »Diese Gentlemen bieten uns ihre Ware zu einem guten Preis an. Übernehmt den Karren.«
    Ich sah, wie Schatten aus dem Wald