Schwerter der Liebe
da stand Kerr Wallace erneut auf seiner Türschwelle. Der Mann hätte ihn von seinem Versprechen entbunden, eine Fechtlektion zu bekommen, doch Nicholas hatte ihm sein Wort gegeben. Dem großen Hinterwäldler aktiv auf der Fechtbahn zu begegnen war undenkbar, doch er konnte ihm einiges über die Geschichte dieses Sports vermitteln und ihm klarmachen, dass er die verschiedenen Waffentypen respektieren und pflegen musste. Es gab Übungen, um den Körper zu ertüchtigen, und er konnte ihm erklären, welchen Sinn die verschiedenen Stellungen eines Fechtkämpfers hatten. Auf die-se Weise war ein Anfang gemacht, auch wenn der Unterricht etwas kürzer ausfiel als üblich.
Nicholas betrat noch rechtzeitig Juliettes Schlafzimmer, um sich nützlich zu machen, indem er Gabriel mehr von Valaras Heiltrank einzuflößen versuchte. Es gelang ihm recht gut, auch wenn er mehrere Male fürchtete, er müsse sich erneut umziehen. Der Junge war unruhig und warf sich hin und her, da gegen Abend sein Fieber wieder zu steigen begann. Schließlich holte Nicholas ihn aus dem Bett und setzte sich mit ihm in den Schaukelstuhl, so wie Juliette es zuvor schon getan hatte. Gabriel wurde sofort ruhiger, was Nicholas erstaunte und erfreute. Während er den Jungen an sich gedrückt hielt, sagte er zu Juliette und Valara, sie sollten sich erst einmal eine Weile ausruhen, er übernehme jetzt für sie das Aufpassen. Dass sie ihm ohne Widerworte gehorchten, erstaunte ihn fast so sehr wie die Tatsache, dass Gabriel wieder ruhig geworden war.
Juliette blieb noch kurz in der Tür stehen und sah über die Schulter zu ihm. Ihr Lächeln hatte etwas Trübseliges, aber auch Anerkennendes. Ihm kam es vor, als hätte sie ihn mit einer Medaille ausgezeichnet.
Die Zeit verging unendlich langsam, die einzigen Geräusche waren das gelegentliche Rattern einer Kutsche auf dem Pflaster vor dem Haus, die Rufe von Blumen- und Kaffeeverkäufern sowie das leise Gemurmel weiblicher Stimmen, die vom Laubengang her zu ihm drangen. Ihm kam es so vor, als sei er eingedöst — vermutlich weil er zu viele Nächte hintereinander zu wenig Schlaf bekommen hatte und weil der Arzt ihm erst einen doppelten Brandy verabreicht hatte, ehe er sich daran machte, seine Schnittwunde zu nähen. Er schlug die Augen auf und stellte erschrocken fest, dass es Abend war und allmählich dunkel wurde.
Jemand betrat in diesem Moment das Schlafzimmer. Eine schlanke, in Grau gekleidete Gestalt, die ein Tablett trug, von dem sich ein verführerischer Duft ausbreitete. Sie stellte das Tablett auf der anderen Seite des Betts ab, dann kam sie wieder zu ihm.
»Juliette ...«
Sie sagte nichts, lächelte ihn aber an, als sie ihm Gabriel aus den Armen nehmen wollte. Ihre Hände strichen dabei sanft über Nicholas' Brust, erst dann hob sie den Jungen hoch und legte ihn ins Bett. Als sie sich wieder zu ihm umdrehte, beugte sie sich über ihn, sodass er das zarte Schimmern in ihren Augen sehen konnte. Sie stützte sich auf seinen Schultern ab, beugte den Kopf noch wenig weiter nach vorn, um ihm einen Kuss zu geben.
Eine Mischung aus Erstaunen und Enttäuschung ließ ihn sekundenlang reglos verharren, dann aber legte er seine Hände auf ihre schlanke Taille, damit er sie ein Stück von sich schieben und aufstehen konnte. Durch seine Bewegung wurde der Kuss unterbrochen, aber bevor Nicholas etwas sagen konnte, griff sie nach seinen Revers, um seinen Kopf nach unten zu ziehen. Er widersetzte sich ihrem Bemühen und legte die Finger um ihre Handgelenke. Sie gab einen leisen verärgerten Laut von sich und stellte sich wieder normal hin, während sie den Kopf in den Nacken legte und ihn ansah.
In diesem Moment bewegte sich der schwache Lichtschein von zwei Kerzen ins Zimmer, von der Tür her ertönte eine kühl klingende Stimme. »Entschuldigung, ich dachte, eine kleine Mahlzeit und etwas Licht wären angebracht.«
Die Frau neben Nicholas drehte sich zur Tür um. »Oh, Juliette, es tut mir ja so leid. Ich weiß nicht, was über uns gekommen ist.«
Nicholas schwankte zwischen Ärger und Verdruss, höflicher Zurückhaltung und Selbstverteidigung. Es hatte kein uns bei diesem Manöver gegeben, sondern Paulette hatte ihn bewusst glauben lassen, sie sei Juliette. Er konnte sich nicht freisprechen, ohne sie zu belasten, und einer Lady unziemliches Verhalten zu unterstellen gehörte sich nicht für einen Gentleman.
»Ich bin mir sicher, dass es ein Irrtum war«, sagte Juliette knapp. »Mir ist schon zuvor
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